Episode 06: Konsequenzen

defender06 Die Situation erscheint aussichtslos, als Commander Jerad Kayn auf die cardassianischen Subraumminen starrt, die die USS DEFENDER umkreisen. Aus der Phase geschoben und offiziell tot, darf er seine Tarnung um keinen Preis aufgeben – obwohl er weiß, dass die tödlichen Minen den gegnerischen Klingonenkreuzer bedrohen, auf dem Captain Lairis gefangen ist.

Nun muss die Kommandantin der DEFENDER die Klingonen davon überzeugen, dass sie allesamt Opfer einer raffinierten cardassianischen Verschwörung wurden. Ihr Überleben hängt von einer Kunst ab, die sie bisher zu ihren Schwächen zählte: Diplo-matie.
Kann Lairis einen Krieg verhindern, der zu diesem Zeitpunkt unausweichlich erscheint?

Währenddessen gelingt der cardassinischen Überläuferin Belora Karthal mit Jerads Hilfe die Rückkehr in ihre Heimat.
Dort wird sie von ihrem eigenen Sohn an die Terrorgruppe „Wahrer Weg“ ausgeliefern – und findet sich in einem bizarren Alptraum wieder.

Das Einzige, was Karthal, Jerad und Lairis retten kann, sind ungewöhnliche Lösungen und ebenso ungewöhnliche Verbündete.
Doch die Konsequenzen ihrer Entscheidungen drohen bereits das Leben aller Beteiligten auf den Kopf zu stellen …

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Kapitel 2: Im Vorhof zur Hölle

Ein Datenpadd lag auf dem Schreibtisch vor Belora Karthal. Ihre müden Augen überflogen den Text, sprangen fahrig zwischen den Zeilen hin und her, ließen Buchstaben verschwimmen, Wörter verschwinden und an völlig unpassenden Stellen wieder auftauchen.
Bis auf zwei winzige Pausen, in denen man sie freundlicher Weise auf die Toilette gelassen hatte, war sie fast achtzehn Stunden ununterbrochen verhört worden. Seit zwei Tagen hatte sie nicht geschlafen. Inzwischen konnte sie sich weder an die Fragen, noch an die wechselnden Gesichter der Offiziere erinnern, die auf dem Stuhl ihr gegenüber gesessen hatten.
Die Schreibtischlampe war wie ein Scheinwerfer auf Karthal gerichtet, grell und gnadenlos. Mit dem Licht kamen die Erinnerungen zurück, die immer wieder im bleigrauen Sumpf der Müdigkeit zu versinken drohten: Die hasserfüllte Miene ihres Sohnes Turo, als er sie beschuldigt hatte, eine Verräterin an der Sache Cardassias zu sein. Zwei Männer, die sich plötzlich in ihrem Haus materialisierten und sowohl sie als auch ihren Mann verschleppten. Der Ort-zu-Ort-Transporter, den sie dabei verwendet hatten, musste mit einem Gerät gekoppelt worden sein, das sie unmit-telbar vor oder nach dem Beamvorgang betäubt hatte.
Ein neues Gefühl kroch in ihr hoch, verdrängte ihre unterschwellig rumorende Angst und das Bedürfnis nach Schlaf. Es war nicht mehr und nicht weniger als blanke, kalte Wut: nicht auf die Wärter, die sie nicht schlafen ließen, nicht auf die Terroristen, die sie entführt hatten, sondern auf Turo. Dieser elende kleine Mistkerl wird eines Tages bitter bereuen, dass er seine eigene Mutter verraten hat! dachte Belora. Falls ich dieses Loch jemals lebend verlassen sollte, werde ich ihm als erstes eine gesalzene Tracht Prügel verpassen – und danach wird er auf allen Vieren laufen, bis er dreißig ist! Doch diese Idee verwarf sie beinahe so schnell, wie sie ihr gekommen war. Nein, Prügel waren nun wirklich unter ihrem Niveau. Wie fast alle Cardassianer liebte sie kreative, ausgeklügelte Lösungen und war vollkommen überzeugt, dass ihr mit der Zeit etwas Angemessenes einfallen würde, um Turo zu bestrafen.
„Und, sind Sie nun bereit, ihr Geständnis zu unterschreiben, Glinn Karthal?“, unterbrach eine sonore Männerstimme ihre Rachefantasien.
Karthal blickte auf, was sie einige Anstrengung kostete. „Da Cardassia jetzt eine Zivilregierung hat und mehr oder weniger erfolgreiche Versuche in Demokratie unternimmt …“ Sie gähnte laut. „… hatte ich gehofft, dass ich mein Geständnis selbst formulieren könnte.“
Der Vernehmungsbeamte lachte spöttisch. „Ich kann Ihnen versichern, dieser unrühmlichen Periode der Zivilherrschaft haben wir ein Ende bereitet – und zwar ein Ende, das diese ver-weichlichte Bande von Föderationslakaien niemals vergessen wird!“
Unter anderen Umständen wäre Karthal bei diesen Worten hellhörig geworden und hätte da-nach gelechzt, mehr zu erfahren.
Doch angesichts ihrer körperlichen Verfassung blinzelte sie nur träge.
„Ineffiziente Verhörmethoden und Nachsicht mit Verbrechern wird es auf Cardassia nie wieder geben“, fügte der Beamte mit scharfer Stimme hinzu. „Wir haben dieses Geständnis anhand Ihrer Aussagen zusammenstellt. Und …“ Ganz unvermittelt fiel er in einen sanften, jovialen Ton-fall. „… ich bin sicher, Sie möchten sich zu gern den Aufwand ersparen, irgendetwas selbst zu formulieren.“
Karthal musste widerwillig zugeben, dass der Mann recht hatte. In ihrem Zustand war sie froh, wenn sie auch nur einen halbwegs vernünftigen Satz heraus bekam. Sie nahm ihre gesamte Konzentration zusammen und las den Text noch einmal. Wörter wie „uncardassianische Geis-teshaltung“, „Kollaboration mit der Sternenflotte“, „Desertation“ und „hochgradig kontaminiert“ sprangen ihr ins Auge.
„Moment mal!“, protestierte sie und wunderte sich, woher sie die Energie dafür nahm. „Ich … ich habe keine uncardassianische Geisteshaltung! Und einen Kollaborateurin bin ich auch nicht! Die haben mich gefangen gehalten! Ich bin geflohen, sobald sich die Gelegenheit ergab, habe fast ein Dutzend von Ihnen niedergeschossen … Fragen Sie das Sternenflottenkommando – die bestätigen Ihnen alles!“
„Ich frage aber nicht die Sternenflotte“, erwiderte der Vernehmungsbeamte schneidend. Dann plötzlich wieder verständnisvoll und eindringlich: „Wir kennen Ihre Akte und wissen, dass Sie ein guter Offizier waren … sind. Sie haben dem cardassianischen Militär mit Ihren Fähigkeiten wert-volle Dienste geleistet, und wir möchten Sie ungern aufgeben, trotz dieses … kleinen Ausrut-schers. Also verbauen Sie sich nicht Ihre letzte Chance auf Rehabilitation!“
„Ich habe doch gar nichts getan“, widersprach Belora müde.
„Sie haben eine Vulkanierin freiwillig an Ihren Geist gelassen und damit riskiert, dass diese Frau an hochsensible militärische Informationen gelangt – das nennen Sie NICHTS?“, brüllte der Offizier.
Verdammt, woher weiß er das?, fragte sich Karthal. In ihrem Magen rumorte mehr als nur der Hunger. Woher wusste dieser Kerl über ihre Gedankenverschmelzung mit T’Liza Bescheid? Hatte er die Informationen über sieben Umwege von der Sternenflotte bekommen? Oder hatte sie selbst sich während des Verhörs verplappert? War sie unter Drogen gesetzt worden? Möglich wäre es, aber sie konnte sich an nichts erinnern, und das beunruhigte sie.
„Sir, das war der einzige Weg, um mich aus der Gefangenschaft der Sternenflotte zu befreien. Ein Täuschungsmanöver!“, beteuerte sie.
„Aus der Gefangenschaft der Sternenflotte – so, so …“ Der Vernehmungsbeamte blickte sie durchdringend an. „Ihren eigenen Aussagen zufolge wurden Sie in einem komfortablen Kadet-tenquartier interniert, weder gefesselt noch unter Drogen gesetzt, die Anzahl der Wachen be-schränkte sich auf ZWEI … Möchten Sie immer noch behaupten, dass eine Cardassianerin mit Ihrer Ausbildung und Ihrer Intelligenz in all der Zeit keinen anderen Fluchtweg gefunden hätte?“
„Sie überschätzen mich wohl.“
„Belügen Sie Ihre tote Mutter – aber nicht mich!“ Der Offizier warf mit theatralischer Geste sei-nen Stuhl um, es polterte laut und Karthal zuckte zusammen.
„Ich habe die Frau erschossen – zählt das denn gar nicht?“
„Sie haben sie nicht erschossen, sondern betäubt. Genau wie das übrige Gesindel.“
„Sternenflottenphaser sind standardgemäß auf Betäubung eingestellt. Ich hatte keine Zeit, die Einstellung zu ändern.“ Der erste Teil war die Wahrheit, der zweite eine Lüge.
„Aha, und woher wussten Sie, wie die Standardeinstellung von Waffen der Sternenflotte aus-sieht?“ Die Augen des Mannes verengten sich.
„Aus den Grenzkriegen.“
„Sie waren nie in den Grenzkriegen.“
„Aber mein Mann.“
„Interessant. Wenn Sie wissen, dass Sternenflottenwaffen auf Betäubung eingestellt sind und keine Zeit hatten, die Einstellung zu ändern – weshalb behaupten Sie dann, Sie hätten sie Vul-kanierin erschossen?“
„Das mit der Betäubung ist mir erst wieder eingefallen, als Sie es erwähnt haben.“
Der Mann beäugte sie weiterhin misstrauisch.
In Karthals übermüdetes Hirn sickerte die Erkenntnis, dass er ihr eine Fangfrage stellen wollte. Ihre Peiniger befragten sie so lange ununterbrochen, bis sie anfing, sich in Widersprüche zu vers-ticken. Danach begann das „harte Verhör“, vor dem Karthal sich seit ihrer Gefangennahme fürchtete. Sie durfte sich nicht provozieren lassen, musste Zeit gewinnen …
„Darf ich mein Geständnis noch einmal in Ruhe durchlesen?“, bat sie.
„Sind Sie endlich zur Vernunft gelangt und möchten unterschreiben?“, fragte der Beamte hoff-nungsvoll.
„Vielleicht.“ Karthal versuchte, die Bedeutung der Worte auf dem Datenträger zu erfassen. Das war nicht leicht, denn ihr Gehirn fühlte sich an wie Brei. Sie las ihr Geständnis wieder und wieder: Ich, Glinn Belora Karthal … unter mysteriösen Umständen im Einsatz verschollen … Kolla-boration mit der Sternenflotte zum eigenen Vorteil … hochgradig kontaminiert mit Idealen der Föderation … militärische Geheimnisse an den Feind weitergegeben … freiwilliges Einverständ-nis bei einer vulkanischen Geistesverschmelzung … dadurch höchstes Sicherheitsrisiko … Flucht vor der eigenen Verantwortung … Desertation unter dem Vorwand … trotz Kenntnis der interplanetaren Sicherheitslage und des cardassianisch-klingonischen Krieges … geeignet, einer klingonisch-föderierten Invasion Vorschub zu leisten … Ich bereue … erkläre meine Taten für einen Ausdruck irrationaler …
„Nein!“, rief sie bestimmt. Sie spürte, wie alles, was von ihren Energiereserven übrig geblieben war, ihrem Körper und Geist einen Stoß versetzte. Die „Verbrechen“, die ihr zur Last gelegt wur-den, hätten selbst zu Zeiten des Detapa-Rates für die Todesstrafe genügt.
Falls Cardassias Rechtssystem noch genauso funktionierte, wie früher, stand die Strafe längst fest. Nur sie, Belora Karthal, würde das Urteil erst am Ende ihres Gerichtsprozesses erfahren.
Alles, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte, ihre Flucht aus dem Sternenflotten-hauptquartier, ihr Kampf gegen diese messerschwingenden Klingonen … dafür, dass sie sich am Ende aufhängen ließ? Nicht, wenn sie es verhindern konnte!
„Das … das da unterschreibe ich nicht!“, rief sie aufgebracht. „Ich bin nicht desertiert und ich habe keine militärischen Geheimnisse verraten! Das unterschreibe ich nicht!“
„Dann haben wir ein Problem“, sagte der Offizier kalt.

Kapitel 5: Lösungswege

Das Fenster war ausnahmsweise echt. Die Beratungslounge gehörte zu den wenigen Räumen auf der DEFENDER, wo anstelle eines Sichtschirms eine doppelte Scheibe aus transparentem Aluminium den Blick nach draußen ermöglichte. Orangerotes Licht flutete hinein, überzog den bogenförmigen, metallenen Konferenztisch mit einem fast sakralen Schimmer.
Sicher war es Einbildung, doch T’Liza spürte sofort, dass jenes Sonnenlicht real war, dass es nicht aus dem Computer kam. Obwohl durch die Scheibe gefiltert, fühlte es sich an wie das Licht ihrer Heimatsonne. Der Tisch sah aus, als würde er glühen.
Zugleich fasziniert und verstört traten der Trill und die Vulkanierin näher an die Fensterscheibe. Sie sahen orangerote und gelbe Plasmaflammen auf der Sonnenoberfläche tanzen. Die Far-ben der Hölle – und das Panorama war mehr als passend. Trümmer eines zerstörten Schiffes trieben an der schwer lädierten MEK’SHOR vorbei, das Mutterschiff holte die letzten Jäger heim.
Und da waren nicht nur Trümmer … Eine goldene Kugel, etwa halb so groß wie ein Runabout, schob sich vor die Panora-Sonne, fraß allmählich das Licht, bis man nur noch die Korona glühen sah. Jerad und T’Liza fröstelten.
Der Spuk war innerhalb weniger Minuten vorbei, doch das mulmige Gefühl blieb.
Die beiden Offiziere wussten genau, was die „Sonnenfinsternis“ eben verursacht hatte: Eine Subraummine der Cardassianer.
„Ist schon ein Unterschied, ob man die Dinger mit eigenen Augen sieht oder nur durch eine Sensoraufzeichnung“, meinte der Trill.
„Ja, so erschienen sie ungleich realer“, ergänzte die Vulkanierin.
„Für mich sind sie die ganze Zeit schon real – glauben Sie mir!“, erwiderte Jerad bitter und setzte sich ans Kopfende des Tisches – der Platz, der normalerweise Lairis reserviert war.
T’Liza nahm zu seiner Linken Platz und Prescott, der gerade eingetroffen war, zu seiner Rech-ten. Die restlichen Offiziere fanden sich nach wenigen Minuten ein.
Wilbury saß am anderen Ende – gegenüber dem Ersten Offizier – und sortierte mit konzent-riertem Blick seine Unterlagen.
„Also, ich muss wohl niemandem erklären, warum wir uns hier zusammengefunden haben. Ein Blick nach draußen genügt.“, eröffnete Jerad die Besprechung und wies Richtung Fenster. „Ich möchte keine Zeit verlieren – Wilbury, schießen Sie los.“
Knapp und präzise erklärte der junge Offizier seine Idee der umprogrammierten Transphasen-Torpedos. Er blinkte in skeptische Gesichter und beendete seinen Vortrag mit einem ungelenken „Das könnte funktionieren, denke ich“. Dabei bevorzugte er es, sein Datenpadd anzustarren an-statt Jerad in die Augen zu sehen.
Lieutenant van de Kamp atmete geräuschvoll ein und aus. „Illegale Tarnvorrichtungen, völker-rechtwidrige Waffen … züchten wir als Nächstes Mutanten auf der Krankenstation?“
„Nur über meine Leiche“, knurrte Dr. Tygins.
Prescott räusperte sich. „Natürlich ist es fragwürdig und illegal, solche Waffen zu entwickeln. Aber wenn wir sie schon mal haben, können wir sie doch für einen guten Zweck einsetzen – und danach meinetwegen die Baupläne löschen.“
„Als bekennender Pragmatiker sehe ich durchaus, dass die Idee was für sich hat“, lenkte van de Kamp ein. „Allerdings dürfte die technische Umsetzung schwierig werden.“
„Aber doch nicht für dich!“ Prescott lächelte ihn entwaffnend an. „Du bist doch so etwas wie der blonde Scotty des vierundzwanzigsten Jahrhunderts.“
„Diesem Ruf gerecht zu werden, wird langsam schwer“, flachste Marc.
„Lieutenant van de Kamp, Sie haben meine Erlaubnis, die Transphasen-Torpedos so zu modi-fizieren, dass sie aus der Phasenverschiebung in den Subraum geschossen werden können“, entschied Jerad unumwunden.
Wilbury, Tharev und Prescott schienen überrascht, dass der Commander dem Plan so schnell zugestimmt hatte. Dr. Tygins‘ Miene verfinsterte sich.
„Doktor, ich sehe das ethische Dilemma, wenn wir eine heimtückische Waffe weiterentwickeln, damit sie noch heimtückischer wird. Aber für die Reinheit unseres Gewissens Captain Lairis und die Crew der MEK’SHOR zu opfern, geht mir erst recht gegen den Strich“, erwiderte Commander Kayn auf seinen unausgesprochenen Einwand. Dann warf er einen Blick in die Runde. „Sonst noch Vorschläge?“ Einige der Anwesenden schüttelten den Kopf, die meisten schwiegen einfach. Damit war die Besprechung beendet.
„Lieutenant van de Kamp, Lieutenant Varla – legen Sie los“, befahl Jerad seinen beiden leiten-den Ingenieuren.

© 2011 by Adriana Wipperling

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