Die ersten paar Kapitel meines Romans zum RPG im SF3DFF-Forum. Am Ende der ersten Episode kommen – wie versprochen – die DEFENDER und Captain Lairis vor, aber bis dahin wird noch einiges Wasser die Havel runterfließen.
Ein Cover gibt es mittlerweile auch. Das SF3DFF-Forum hat einen Contest veranstaltet, den ich gewonnen habe *stolz*:
Nun aber weiter im Text …
Brücke – gegen 14:30
Commander Lejla Katic kämpfte gegen ihre Benommenheit. Langsam und vorsichtig brachte sie sich in eine aufrechte Position, massierte ihre Schläfen und spürte eine warme, klebrige Flüssigkeit, die ihr Handgelenk herab lief.
Es war Blut. Und zwar ihr eigenes, das aus einer tiefen Schnittwunde an ihrem Kopf strömte.
Kein Wunder, dass ihr Schädel dröhnte, als würde die gesamte klingonische Verteidigungsarmee ihren Parademarsch zum Tag der Ehre abhalten!
Lejla verzog das Gesicht vor Schmerz. Nicht nur ihr Kopf tat weh – ihr gesamter Körper fühlte sich an wie durchgeprügelt.
Eine Explosion hatte sie quer durch den Raum geschleudert, erinnerte sie sich vage.
Doch was zum Teufel war gerade passiert?
Ein Anflug von Panik suchte Commander Katic heim. Sie lag auf dem harten Boden, der Raum über ihr war schmutzig grau … verschwommen … und waberte. So wie ihre Gedanken.
Lejla schloss die Augen, atmete tief durch und hoffte, dadurch Klarheit zu gewinnen. Doch ihre Umgebung lag nach wie vor hinter einem wabernden grauen Schleier.
Es war Qualm, begriff sie. Flammen züngelten überall aus geborstenen Konsolen, die Kunststoff-Verkleidung war geschmolzen und verkohlt. Es stank widerwärtig und ein Knoten bildete sich in Leilas Magen.
Mit steifen Gliedern zog sie sich an dem Geländer hoch, das ihren Flug durch den Raum abgebremst hatte. Autsch, jetzt exerzierten die Klingonen nicht länger – sie begannen mit ihren Bat’Lets den Feind in Stücke zu hacken!
Der Feind war offensichtlich Lejlas Gehirn.
Sie biss die Zähne zusammen, bis das Gewitter in ihrem Kopf allmählich nachließ. Dann sah sie sich um. Was sie sah, schnürte den Knoten in ihrem Magen noch enger. Die Brücke der USS Estrella del Alba – oder was davon noch übrig war: Brennende Trümmer und Rauch, Glassplitter überall auf dem Boden verteilt, verwaiste Konsolen.
„Bin ich etwa die einzige Überlebende?“, fragte sie sich mit Entsetzen.
Gott sei dank nicht – neben einer der kaputten Konsolen, halb verborgen hinter einer Rauchwolke, richtete eine weitere Gestalt sich mühsam auf. Es war die Operationsoffizierin, eine junge Trill. Sie hatte eine hässliche Brandwunde auf der Wange, schien aber nicht ernsthaft verletzt zu sein.
So schnell, wie es ihre angeschlagenen Knochen erlaubten, eilte Leila zu ihr. „Alles in Ordnung, Fähnrich?“, fragte sie besorgt.
Die Andere nickte stumm.
„Was ist passiert?“, wollte Leila wissen.
„Keine Ahnung“, antwortete die Operationsoffizierin schwach. „Eben sind wir noch durch dieses Asteroidenfeld bei M-23 geflogen … McMeredith wollte unbedingt die herumfliegende Steine untersuchen … als ob das nicht schon hunderte Wissenschaftler vor ihm getan hätten … aber Sie wissen ja, wie er ist.“
Leila nickte. Gesunde Neugier gehörte zu den Eigenschaften eines jeden guten Wissenschaftlers – aber die Neugier, die der Wissenschaftsoffizier der USS Estrella des Alba manchmal an den Tag legte, war eher lästig als gesund.
Dennoch hatten ihm der Captain seinen Spaß gegönnt und nun saßen sie in diesem Schlamassel.
„Dann sind wir wohl in einen Meteoritenschauer geraten“, spekulierte Leila.
„Keine Ahnung“, wiederholte die junge Trill. „Ich hatte eine Energiespitze auf meinen Anzeigen und wollte sie dem Captain melden – da flog auch schon meine Konsole in die Luft.“
„Sieht aus, als hätte es Energieentladungen auf der ganzen Brücke gegeben“, erkannte Leila mit Blick auf das Chaos um sie herum. „Hoffentlich nicht auf dem ganzen Schiff!“
„Das könnte ich feststellen – wenn die Hauptsysteme nicht komplett ausgefallen wären“, erwiderte die junge Frau missmutig.
Commander Katic legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Danke, Fähnrich. Gehen Sie auf die Krankenstation.“
Falls wir noch eine Krankenstation haben, fügte sie zynisch in Gedanken hinzu.
Die anderen Crewmitglieder kamen nach und nach zu sich, wie Lejla mit großer Erleichterung feststellte.
Alle – bis auf zwei.
Mit unsicheren Schritten näherte sich Lejla dem Stuhl des Captains. Doch der Platz war leer. Ihr Vorgesetzter lag regungslos auf dem Boden – genau wie sein Wissenschaftsoffizier, Lieutenant Commander McMeredith.
Allmählich lichtete sich der Qualm und gab den Blick auf den Hauptbildschirm frei. Der funktionierte natürlich auch nicht mehr. Lejla sah nur Rauschen, diffusen Schnee. Monochrom – so wie alles hier nach diesem ominösen Unglück. Selbst die farbigen Kragen der Offiziere waren von grauer Asche bedeckt.
Lediglich ein roter Fleck auf dem Boden stach aus der grauen Tristesse heraus. Ein viel zu großer Fleck, ein viel zu sattes rot …
Lejla schluckte.
„McMeredith?“, hauchte sie.
Instinktiv wusste sie: Sie konnte nichts mehr für ihn tun.
Eine Explosion hatte die wissenschaftliche Konsole zerrissen, in tausend Stücke zersprengt … und die meisten steckten nun in McMerediths Körper. Auch in seinem Gesicht. Ein langer dünner Glassplitter ragte wie ein spitzer Stachel aus seinem Auge.
Leila wandte sich ab, unterdrückte den Brechreiz und die aufsteigenden Tränen.
So sehr, wie ihr McMeredith auf die Nerven gegangen war – von nun an würde sie jeden Tag, den sie an der wissenschaftlichen Konsole vorbeiging, still an ihn denken und sein arrogantes Geplapper schmerzlich vermissen.
Vor allem würde das Bild seiner Leiche sie wochenlang in ihren Alpträumen jagen.
Aber jetzt durfte sie sich nicht ablenken lassen, zum Wohl der ganzen Crew musste sie den Überblick behalten – vielleicht konnte sie wenigstens den Captain retten.
Vorsichtig, mit angehaltenem Atem, drehte sie den Mann auf den Rücken.
Wäre Commander Katic nicht so sehr darauf fixiert gewesen, seinen Puls zu finden, hätte sie seinen leblosen starren Blick bemerkt und den unnatürlichen Winkel, in dem sein Kopf herabhing.
Ihre Wiederbelebungsmaßnahmen waren sinnlos – aber das wollte Lejla nicht wahrhaben. Selbst, als sie nach fünf Minuten immer noch keinen Puls spürte. Selbst, als der Captain trotz ihrer Herzmassage und Mund-zu-Mund Beatmung nicht selbstständig zu atmen begann.
„Oh nein, tun Sie mir das nicht an, Sir!“, stieß sie hervor.
Er antwortete nicht, starrte nur mit glasigen Augen an die Decke.
Seine Uniform war verschmiert mit Blut, aber es war nicht seines, sondern Lejlas. Ihre Kopfwunde blutete nach wie vor, wenn auch nicht mehr so stark.
Es war ihr egal.
„Bitte, Captain …“, murmelte sie mit zittriger Stimme. Der Rest des Satzes blieb wie ein Pfropfen in ihrer Kehle stecken.
Vor zwei Jahren war der Erste Offizier der USS Estrella des Alba bei einem Shuttleunfall ums Leben gekommen. Das Schiff war auf Forschungsmission in den Randgebieten – zu weit im Tiefenraum, als dass die Sternenflotten rechtzeitig einen qualifizierten Ersatz hätte schicken können.
Lejla Katic war aufgerückt. Viel zu früh, wie einige meinten.
Aber sie hatte sich behauptet und bewährt. Trotz ihres jungen Alters gewann sie den Respekt der Crew und das uneingeschränkte Vertrauen ihres Captains.
Doch mit einer einzigen, verdammten Explosion war plötzlich alles vorbei, alles kaputt.
Commander Katic trug nun die Last des Kommandos auf ihren Schultern – wieder viel zu früh.
Die Druckwelle kam blitzschnell, hart und unerwartet – ebenso der Aufprall.
„Verdammt, was war das?“, fragte sich Lieutenant Cer´Zydar Taren, Taktischer Offizier der USS Estrella des Alba.
Für einen Moment kam es ihm vor, als hätte ein Raumschiff der Galaxy-Klasse ihn mit voller Impulsgeschwindigkeit gerammt – der Moment, in dem die Explosion ihn gegen die Wand geschleudert hatte. Ein Wunder, dass er noch lebte!
„Mein erster Einsatz an Bord der Estrella – und schon fliegt der alte Eimer in die Luft“, fluchte der junge Andorianer halblaut.
Immerhin hatte die Estrella del Alba – ein Schiff der Excelsior-Klasse – schon gute achtzig Jahre auf dem Buckel.
Als Lieutenant Taren die Augen öffnete bemerkte er den Schemen einer Person, die sich über eine andere, am Boden liegende Person beugte.
Er ignorierte sein schmerzendes Kreuz und versuchte sich aufzuraffen. Mit dem Rücken zur Wand, aber immerhin stand er aufrecht. Er keuchte und schmeckte Blut. Offensichtlich hatte er sich in die Zunge gebissen.
Tarens Antennen bewegten sich unruhig in alle Richtungen. Es war nicht leicht, sich einen Überblick zu verschaffen, denn an allen Ecken brannte es, Verletzte stöhnten, um ihn herum regnete es Funken auf den Boden und Qualm behinderte seine Sicht.
Nur allmählich kehrte Tarens Erinnerung zurück, als dem jungen Andorianer bewusst wurde, dass er sich auf der Brücke befand.
Nun erkannte er auch, dass die Frau, die neben dem Captain-Sessel auf dem Boden kauerte, Commander Lejla Katic war.
Und der Mann, den sie so verzweifelt wiederzubeleben versuchte … Taren schluckte hart, als seine schlimmste Befürchtung wahr wurde: Es handelte sich um den Captain.
Der Andorianer zögerte keinen Augenblick und eilte Commander Katic zur Seite.
Die junge Frau schien ihn überhaupt nicht wahrzunehmen – selbst dann nicht, als er seine Hand auf ihre Schulter legte. Immer wieder redete sie auf den leblosen Captain ein und versuchte erfolglos, sein Herz zum Schlagen zu bringen.
Sie blickte erst auf, als der Andorianer sie behutsam aber unnachgiebig auf die Füße zog. Tränen glitzerten in ihren Augen.
„Das darf nicht wahr sein, das darf nicht wahr sein …“ murmelte sie halb erstickt. Ihre Worte wiederholten sich wie eine Feedback-Schleife in einem kaputten Comm-System.
„Jetzt beruhigen Sie sich erst mal“, erwiderte der Andorianer bestimmt. Seine Hand lag immer noch auf ihrer Schulter und er strich ihr sanft über den Arm.
Lejla nickte. Normalerweise mochte sie es nicht besonders, von anderen Personen angefasst zu werden, und musste jemandem vollständig vertrauen, bis sie diese Hemmschwelle überwand. Doch in ihrem seelischen Ausnahmezustand von Unsicherheit, Trauer und zielloser Wut auf das ganze Universum war sie einfach dankbar für Tarens Mitgefühl. In einem schwachen Moment hätte sie sich am liebsten an seinen breiten Schultern ausgeheult, aber dem durfte sie auf keinen Fall nachgeben. Der sechsundzwanzigjährige Lieutenant war ihr Untergebener, letztendlich erwartete er ihre Führung, ihre Stärke. Was sollte die Crew von ihr denken, wer würde sie dann als Kommandantin noch ernst nehmen?
Taren beugte sich selbst über den Körper des Captain, legte seine Finger an die Halsschlagader und stieß einen lauten Seufzer der Resignation aus.
„Er ist tot, Commander. Sie selbst sollten sich auf die Krankenstation begeben.“
Lejla erwiderte lange Zeit gar nichts, sondern starrte ihn nur an. Nach und nach wich die Trauer und Angst in ihren dunklen Augen einer verzweifelten Entschlossenheit.
„Mir geht’s gut“, widersprach sie. „Lässt man die Tatsache außer Acht, dass es eine Havarie unbekannten Ursprungs gab, die Brücke ein Trümmerhaufen ist und der Captain tot …“ Als Leijla diese schmerzliche Tatsache aussprach, musste sie einen Moment innehalten. „Das Wichtigste ist, dass wir uns um die Verwundeten auf der Brück kümmern. Sie und ich übernehmen das.“
Der Andorianer wollte Katic zunächst widersprechen. Sein angeborener Beschützerinstinkt riet ihm, die Kopfwunde des Ersten Offiziers augenblicklich versorgen zu lassen.
Doch letztendlich nickte er, weil er einsah, dass die Frau Recht hatte. „Aye Commander.“
Lejla Katic tippte auf ihren Kommunikator, doch dieser reagierte nicht. Auch die schiffsweite Kommunikation war ausgefallen.
„Fähnrich Nygar …“ Sie wandte sich an die junge Trill von der OPS, die gerade etwas ratlos um sich blickte. „Versuchen Sie die internen Sensoren, damit wir endlich einen vollständigen Schadenbericht bekommen.“
„Aye, Sir, ich tue, was ich kann“, erwiderte die junge Frau. Ihrem Gesicht war allerdings abzulesen, dass sie ihre Chance, diesem Konglomerat halb geschmolzener Schaltkreise irgendwelche brauchbaren Daten zu entlocken, als ziemlich gering einschätzte.
Lejlas Verstand arbeitete fieberhaft. Irgendwann müssten die Notaggregate anspringen, normalerweise direkt nach dem Ausfall der Hauptversorgung. Doch bisher war nichts passiert.
Im Augenwinkel bemerkte Lejla einen Master Chief Petty Officer aus der Technischen Abteilung, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an einer noch halbwegs intakten Konsole hochzog.
„Chief Ahim!“, rief sie.
Der Mann hob schwerfällig den Kopf.
„Chief, wenn es Ihnen irgendwie möglich ist, versuchen Sie den Maschinenraum zu erreichen, sprechen Sie mit dem Chefingenieur, notieren Sie alle gemeldeten Schäden und bringen mir einen Statusbericht.“
Cer´Zydar Taren hatte mitbekommen, was Commander Katic dem Chief zugerufen hatte. Bei einem Blick zur Seite stellte er fest, dass es dem jungen Chief Petty Officer Schwierigkeiten bereitete, aufrecht zu stehen.
Für einen Moment fragte Taren sich besorgt, ob Lejla nicht zu viel verlangte – doch er kam zu dem Schluss, dass es dem Rest der Brückenbesatzung auch nicht besser ging und der Auftrag des Commanders Vorrang hatte.
„Schaffen Sie das, Chief?“, fragte Taren und reichte Ahim seine Hand, um ihn zu stützen.
„Danke für die Hilfe“, erwiderte Ahim. „Was ist hier eigentlich passiert?“
„Ich weiß auch nicht mehr als Sie, Chief“, knurrte der Andorianer ob dieser Frage. „Oder sind Sie vielleicht der Meinung ich könnte hellsehen?“
Normalerweise war er nicht so unfreundlich, doch die Situation zerrte an seinen Nerven, obwohl er das nicht zugeben mochte.
Eben weil ihn die Erkenntnis ärgerte, fixierte er den Chief mit seinen tiefblauen Augen und fügte hinzu: „Wenn Sie dazu in der Lage sind, dann machen Sie sich gefälligst auf den Weg. Hier gibt es noch andere Verletzte, die meine Hilfe brauchen.“
Der Chief war ihm einen giftigen Blick zu, dann machte er sich auf den Weg.
***
Der Sicherheitschef der Estrella del Alba, Lieutenant Commander Richard T. Harris, ahnte noch nichts von der kommenden Katastrophe, als er aus seinem Büro stürmte und auf dem Korridor beinahe mit seiner Teamleiterin, Lieutenant JG Voran Laren, zusammen stieß.
Die hochgewachsene Bajoranerin sprang geistesgegenwärtig zur Seite.
„Und, haben Sie Corin und Jacen ‚verarztet‘?“, fragte sie mir einem ironischen Lächeln.
Laren war die direkte Vorgesetzte der beiden namentlich genannten Ensigns – und mit „Verarzten“ meinte sie keineswegs medizinische Pflege.
Richard nickte. „Habe ich. Es war nicht gerade intelligent von den beiden, sich auf Unity One mit dem Ferengihändler anzulegen.“
Seine Begleiterin schmunzelte. „Ah, Verstoß gegen Harris’ Regel Nummer drei: Ein Sicherheitsoffizier sorgt immer für Sicherheit, auch wenn er nicht im Dienst ist.“
„Allerdings. Das sollten sich diese Grünschnäbel auf die Augenlider tätowieren lassen!“, brummte Commander Harris. „Wenn sie das erste Jahr hier überleben wollen …“
Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Plötzlich wurde das Schiff erschüttert und die beiden flogen gegen die Korridorwand.
„Was war das denn?“, fauchte der Sicherheitschef und rieb sich das lädierte Kinn. Dann aktivierte er seinen Kommunikator: „Harris an Brücke. Lagebericht.“
Doch niemand antwortete.
Harris unterdrückte einen Fluch. „Ich bin auf dem Weg zur Brücke. Voran – trommeln Sie die Truppe zusammen.“
Der Sicherheitschef wartete das „Aye, Sir“ seiner Untergebenen gar nicht erst ab, sondern sprintete los. Innerhalb von Sekunden stand er vor dem nächsten Turbolift, doch der war außer Funktion.
„Das hättest du dir ja denken können“, wies er sich selbst zurecht.
Dann sah er sich um und entdeckte in der Nähe einen Zugang zum Jeffriesröhrensystem der Brücke.
„Na prima“, dachte der Sicherheitschef eingedenk der Kletterei, die jetzt vor ihm lag.
Mit einem Stoßseufzer öffnete er den Zugangsschacht.
„Comm… Commander, sind Sie das?“, stammelte ein junger Fähnrich mit einem blutverklebten Auge und einem zersplitterten Padd in der Hand.
„Ja, ich bin es. Ganz ruhig, das wird schon wieder …“ redete sie mit sanfter Stimme auf ihn ein, während sie routiniert seine Wunden säuberte und ihm ein Hypospray aus den Notfallkoffer verabreichte.
Innerlich war aufgewühlt, doch offenbar gelang es ihr, eine Sicherheit auszustrahlen, die sie nicht empfand. Ihre Hände zitterten immer noch leicht.
Immerhin beruhigte sich der junge Fähnrich, richtete sich mit ihrer Hilfe auf und fragte nach Befehlen.
„Helfen Sie Lieutenant Taren“, ordnete Lejla an, als sie sah, dass der Andorianer einen schwereren Fall versorgte.
„Wer noch?“, ging es ihr durch den Kopf und ihr Magen verkrampfte sich.
Ihr Blick wanderte erneut zur Leiche des Captains, anschließend zum toten Wissenschaftsoffizier. Ein Teil von ihr war wie betäubt, betrachtete das grausame Szenario mit der Distanz eines Außenstehenden, der sich einen Holofilm ansah.
Natürlich!
Beinahe hätte sie hysterisch laut gelacht. Das Ganze war nichts weiter als eine Übung auf dem Holodeck, um ihre Kommandofähigkeiten zu testen! Sie konnte sich an nichts erinnern, weil man sie direkt aus dem Bett hier her gebeamt hatte, sozusagen ins kalte Wasser geschmissen.
Der Captain … dieser Hund! So etwas veranstaltete er von Zeit zu Zeit, um seine Mannschaft auf Trab zu halten. Im Prinzip hatte sie nichts dagegen einzuwenden – aber musste es ausgerechnet an ihrem zweiunddreißigsten Geburtstag sein? Diesen Tag wollte sie eigentlich bei einem Umtrunk mit ihren Kollegen und Freunden verbringen, bei einem kalten Buffet, Musik und Geschenken und nicht …
Nicht in einem manövrierunfähigen Schiff, das ohne funktionierende Hauptsysteme in einem Asteroidenfeld fest hing. Nicht mit einem halben Dutzend stöhnenden Verletzten. Nicht … mit einem toten Captain.
Sie starrte sekundenlang auf das getrocknete Blut an ihren Händen. Vielleicht war es gar nicht real – genauso wenig wie ihre verschmutzte Uniform. Womöglich taperte sie gerade im Schlafanzug durch simuliertes Katastrophenszenario.
Bei dem Gedanken rutschte ihr tatsächlich ein Kichern heraus.
Lieutenant Taren drehte sich mit einem besorgten Stirnrunzeln zu ihr um.
Doch wenn es nicht real sein sollte – wieso tat ihr dann alles weh?
Tief im Inneren kannte Lejla die Antwort auf diese Frage – und hasste sie.
Währenddessen half Lieutenant Taren zwei Offizieren der Brückenbesatzung, sich einigermaßen bequem auf ihre Stühle zu setzen, und begann, sie provisorisch zu untersuchen. Zwar war er kein Arzt, aber zumindest nach offensichtlichen Verwundungen konnte er Ausschau halten.
Dem Anschein nach hatten beide Offiziere nur leichte Verletzungen davongetragen, also
begab sich Taren zu einer Frau, die vor ihrer Station lag und ein unterdrücktes Stöhnen von sich gab.
Erleichtert stellte er fest, dass sie langsam wieder zu Bewusstsein kam. Allerdings gelang es ihr nicht, sich ohne Hilfe zu erheben. Als sie sich auf dem linken Arm abstützen wollte, keuchte sie vor Schmerz und knickte ein. Vermutlich hatte sie sich den Arm gebrochen, doch dessen war sich Taren nicht sicher.
Zwischendurch wanderte sein Blick immer wieder zu Commander Katic, deren seelische Verfassung ihm etwas Sorgen bereitete. Einerseits war er versucht, die verletzte Frau zur Krankenstation zu bringen, anderseits mochte er Lejla nicht allein lassen.
„Warnung, Hauptsysteme offline“, meldete die freundliche aber kalte Computerstimme zum wiederholten Mal.
„Erzähl mir was Neues!“, knurrte Lejla entnervt.
Der Computer piepte verständnislos.
Lejla ballte die Hände zu Fäusten, getrocknetes Blut blätterte von ihren Fingern. An die Kopfschmerzen hatte sie sich beinahe gewöhnt, aber die Ungewissheit nervte und zermürbte sie.
Da flackerte plötzlich der Monitor auf und Lejla hob erwartungsvoll den Blick.
Asteroiden aller Größen trieben vorbei, eine schwache gelbe Sonne leuchtete in der Ferne. Es war kein sonderlich inspirierendes Bild – aber es war ein Bild und für Lejla der Grund, zum ersten Mal, seit sie an diesem Horrortag auf der verwüsteten Brücke erwacht war, zu lächeln.
„Na, wenigstens etwas!“
Auch Fähnrich Nygaras Miene hellte sich auf. „Anscheinend sind ein paar der Notsysteme angesprungen.“
„Wurde aber auch Zeit“, gab Lejla zurück. „Wozu hat man Notsysteme, wenn sie in der Not nicht funktionieren.
Nygara zuckte die Schultern. „Wer immer diese Schiffklasse konstruiert hat, wollte offenbar nicht, dass die Techniker sich langweilen.“
Lejla schmunzelte, obwohl ihr eigentlich nicht danach zumute war.
Sie nahm Platz auf dem Sessel hinter der CONN und versuchte, zuerst den Autopilot, dann die manuelle Steuerung zu aktivieren. Es fehlte noch, dass einer der Brocken in der Schiffhülle einschlug, weil die Estrella nicht ausweichen konnte!
Leider reagierte die Steuerung nicht.
„Mist!“, rutschte es Leijla heraus. „Fähnrich, kriegen wir die Schutzschilde hochgefahren?“
Die junge Trill betätigte mit hoch konzentrierter Miene einige Schalter und Konsolen, dann schüttelte sie bedauernd den Kopf.
„Katic an Maschinenraum“, probierte es Lejla.
Wie erwartet, funktionierte das Intercomm immer noch nicht.
Fäkalwörter in den Sprachen von mindesten zehn verschiedenen Spezies lagen Lejla auf der Zunge, doch sie schluckte sie herunter.
„Fähnrich Nygara, lassen Sie sich was einfallen, um die Sensoren zum Laufen zu bringen. Ich will endlich wissen, was uns in diese besch…eidene Lage gebracht hat und ob jemand in der Nähe ist der dafür verantwortlich sein könnte!“, befahl sie statt dessen.
***
„Na endlich!“, murmelte Lieutenant Commander Harris, als er nach gefühlten zwei Stunden die Zugangsluke zwischen CONN und Hauptschirm erreichte.
Die Kletterei an sich hätte ihm nichts ausgemacht. Er war ein sportlicher Typ und Bergsteigen zählte neben Antigrav-Segeln zu seinen Lieblingsbeschäftigungen im Urlaub.
Aber er hasste Jeffries-Röhren: Die Enge, die stickige Luft, das spärliche Licht … all das weckte unangenehme Erinnerungen an den Dominionkrieg. Wie oft war er schon durch diese Röhren gekrochen, weil nach einem Kampf die Turbolifte aufgefallen waren! Einmal hatte er acht Stunden in so einem verdammten Schacht festgesessen, weil sämtliche Eingänge durch Trümmer blockiert oder die Luken geschmolzen waren. Es war vollkommen dunkel, die Beleuchtung schien ausgefallen zu sein … dafür übertrug das Tunnelsystem jedes Geräusch, spürte Harris die vibrierenden Stimmbänder des Schiffes, das protestierte und schrie.
Er wusste, durch den Korridor über ihm jagte eine Plasmafeuerwalze, verbrannten seine Kameraden bei lebendigem Leib … die Hitze lief ihn fast in Ohnmacht fallen, doch am schlimmsten war die Tatsache, dass er keinem Weg aus den endlos erscheinenden Tunnel fand, dass er nichts tun konnte, um sich und anderen zu helfen … bis es ihm endlich gelungen war, mit seinem Phaser eines der halb geschmolzenen Luken aufzuschweißen.
Von daher stammte seine Regel: „Ein guter Sicherheitsoffizier kann mit einem Phaser alles anfangen: Schießen, schweißen, grillen und notfalls sogar einen Hogan schnitzen.“
Diesmal sah die Lage anders aus. Zwar fürchtete er sich vor dem, was er auf der Brücke vorfinden mochte – aber wenigstens konnte er diesmal etwas tun.
Er holte tief Luft, dann versuchte er, die Schotts auseinander zu drücken. Seine Muskeln waren nicht gerade schwach entwickelt, trotzdem ging es verflucht schwer.
Seine rechte Hand tastete nach dem Phaser an seinem Gürtel. „Also, wie damals auf der Honshu“, murmelte er grimmig – ganz im Sinne seiner Regel „Ein guter Sicherheitsoffizier hat immer einen Plan B, C, D, E und F.“
Aber er war bereit, es noch einmal mit Plan A zu versuchen und zerrte mit einem kräftigen Ruck an der Verriegelung.
Diesmal gab das Schott nach und gab einen Spalt frei, der gerade breit genug für seinen Körper war.
„Na also, geht doch!“, triumphierte er und zwängte sich hindurch.
Mit einem Blick erkannte er, wie schlimm es stand. Zwei Offizier waren augenscheinlich verwundet und hielten sich mühsam auf ihren Stühlen, eine weitere Frau lag am Boden.
Genau wie der Captain und der Wissenschaftsoffzier.
Harris schluckte hart. Die beiden lebten offensichtlich nicht mehr.
Trauer und Wut kochten in ihm hoch, aber er drängte diese Gefühle zurück, denn wenn er den anderen helfen wollte, musste er ruhig bleiben.
Zeit zu Trauern war später.
Der Sicherheitschef war froh, zu sehen, dass es wenigstens Commander Katic gut ging. Jedenfalls gut genug, um hinter den CONN zu sitzen und Befehle zu erteilen.
Doch es entging ihm nicht, dass sie den Sessel des Captains mied, obwohl sie jetzt das Kommando innehatte. Er kannte Lejla gut genug, um zu wissen, was das bedeutete.
Harris sprang auf die Füße und trat an ihre Seite.
„Wie sieht es aus, Commander? Was machen wir jetzt?“, fragte er leise.
„Rick!“, begrüßte sie ihn erleichtert. „Gott sei dank, du lebst noch!“
„Betonung auf NOCH“, fügte Cer´Zydar Taren zynisch hinzu. Mit finsterer Miene deutete er auf einen besonders stattlichen Asteroiden, der fast ein Viertel des Bildschirms einnahm. „Dieser Brocken da bewegt sich unfairer Weise direkt in unserer Richtung. Nimmt man die geschätzte Entfernung und seine Geschwindigkeit, dauert es nach meinen Berechnungen etwa eine halbe Stunde, bis er gegen unserer Außenhülle kracht. Und dann sind wir erledigt!“
„Nein!“ entfuhr es Lejla.
Sie blickte von Taren zu Harris. Keiner der beiden Männer schien einen Rat zu wissen.
„Was ist mit den Schilden?“, fragte Rick.
Lejla seufzte.
„Lass mich raten: Ausgefallen.“
„Ja.“
„Kriegen wir sie wieder in Gang?“
„Nicht von der Brücke aus. Chief Ahim ist auf den Weg in den Maschinenraum und … Ach, verdammt!“, schimpfte sie.
„Was ist?“, hakte der Sicherheitschef nach nach.
„Ich hätte dem Chief gleich die Anweisung geben sollen, sich darum zu kümmern!“
„Cully wird schon wissen, was er tut“, beruhigte Rick die Frau.
Rory Culloden „Cully“ McPherson war der Chefingenier der U.S.S. Estrella del Alba und einer der besten seines Faches. Doch so wie die Lage aussah, bestand die Gefahr, dass er nicht mehr lebte.
Lejla überlegte angestrengt. Sie hatte eine klägliche halbe Stunde Zeit, um das Schiff und die Crew zu retten. Eine halbe Stunde zwischen Leben oder Tod.
Das getrocknete Blut in ihrem Gesicht juckte, sie kratzte sich an Hals und Kinn, während Rick sie besorgt ansah.
„Wenn es Cully nicht rechtzeitig schafft, die Schilde oder den Antrieb zum Laufen zu kriegen, müssen wir Hilfe holen“, meinte sie.
„Dürfte ohne Comm-System schwierig werden“, gab Cer´Zydar Taren trocken zurück.
„Ist irgendeine Station oder ein Schiff in der Nähe, von dem wir wissen?“, fragte Lejla. „Ich meine: nahe genug, dass wir rechtzeitig mit einem Shuttle dort hin kommen.“
„Der nächste Außenposten, von dem ich weiß, ist UNITY-ONE“, antwortete der Andorianer.
„Auch zu weit weg.“ Rick verzog das Gesicht.
„Nicht zwangsläufig“, warf Taren ein. „Möglicherweise haben wir Glück und die Systeme in einem der Shuttles funktionieren noch, so dass wir einen Notruf senden können. Ich wette, eines dieser superschnellen Task Force Schiffe könnte in wenigen Minuten hier sein.“
Lejlas Augen leuchteten auf. „Exzellente Idee!“, lobte sie den Andorianer. „Und warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“, schimpfte sie in Gedanken mit sich.
„Falls aber UNITY ONE unsere nachricht nicht empfängt oder selbst die superschnellen Task Force Schiffe nicht schnell genug hier sein können …“, wandte Rick ein.
„Ich weiß, dann brauchen wir einen Plan B, C, D, E und F.“ Leijla lächelte leicht. „Falls du einen hast, wäre ich dankbar.“
Richard lächelte zurück. „Einen Plan B hätte ich zumindest: Eine halbe Stunde müsste reichen, um zum Torpedowerfer zu klettern und einen Torpedo manuell abzufeuern.“ Er warf Taren einen herausfordernden Blick zu. „Was meinen Sie, Lieutenant?“
Die Antennen des Andorianers spreizten sich leicht zur Seite und er nickte nach kurzem Zögern. Alleine bei dem Gedanken, was dabei alles schiefgehen konnte, kribbelten seine Finger. Ohne Computersimulation war es nicht möglich, vorherzusehen, wie sich die Explosion eines großen Asteroiden auf die Flugbahn der übrigen Brocken auswirken würde. Aber er musste Richard zustimmen: Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
„Es wäre gut, wenn mir jemand zur Hand geht“, erklärte er. „Unsere Zielscanner sind offline, deshalb müssen wir mit dem gesamten Schiff zielen, notfalls über den Daumen. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir ziemlich nah heran müssen, damit der Schuss nicht daneben geht.“ Er wandte sich mit einem bedeutungsvollen Blick an Katic. „Wenn das etwas werden soll, müssen wir sofort loslegen, Commander.“
„Tun Sie es“, entschied Lejla und schickte einen halbwegs unverletzten Kommunikationstechniker zur Hangarbucht, um mit Hilfe eines Shuttles ein Notsignal zu senden. „Rick, du hilfst Lieutenant Taren.“
„Wir kriegen das hin“, versuchte Richard sie aufzumuntern.
„Daran habe ich keinen Zweifel“, erwiderte sie leise.
Harris musterte sie forschend. Er ahnte, dass Lejla durchaus Zweifel hatte – und zwar an sich selbst. Sie war ein sehr fähiger Offizier, doch selbst Rick fand, dass sie noch etwas zu jung für den Posten der „Nummer Eins“ war. Nichtsdestotrotz hatte er sie immer unterstützt – im Gegensatz zu seiner Frau Claire, die jeden Tag darauf zu warten schien, dass Lejla ihre Inkompetenz unter Beweis stellte.
Der Gedanke an seine Frau betrübte den Sicherheitschef. Hoffentlich ging es ihr gut … ihr und den beiden kleinen Mädchen. Wenn dem so war, würde Claire einen Weg finden, um mit der Situation irgendwie klarzukommen. Vermutlich stützte sie sich voll in die Arbeit.
„Also, versuchen wir unser Glück, Lieutenant!“, sagte Rick zu Taren und sie machten sich auf den Weg.
Lejla blickte den Männern lange nach. Am liebsten wäre sie selbst zum Shuttle gelaufen, um UNITY ONE zu rufen. Doch sie konnte die Brücke nicht verlassen.
Das Kommando zu haben, hieß manchmal auch, einfach zu warten, der allzeit bereite Fels in der Brandung zu sein, während andere kämpften und Lösungen fanden.
Damit würde sich Lejla nie anfreunden können.
Mit einem leisen Seufzen zog ihre Jacke aus und deckte sie über das Gesicht des toten Captains. Fähnrich Nygara tat dasselbe mit Commander McMeredith.
Katic fragte sich besorgt, wie es nun weiter gehen würde, wie stark war das Schiff beschädigt war, was nun mit ihr und der Crew passieren würde.
Schnell schob sie diese Sorgen beiseite, es gab vordringliche Probleme.
Sicherheitszentrale
Lieutenant Ynarea Tohan saß an ihrem Schreibtisch und verfasste für ihren Vorgesetzten, Lt. Commander Richard Harris, ihren täglichen Bericht über die Schiffssicherheit.
Sie kam schleppend voran, denn im Grunde langweilten diese Berichte sie nur. Meistens passierte ja doch nichts und ein Teil von Ynarea sah nicht ein, wozu man über NICHTS berichten sollte. Aber das war wieder eine dieser Regeln ihres Chef: Alles dokumentieren, auch wenn es unwichtig erscheint, denn es könnte sich im Nachhinein als wichtig herausstellen.
Sie seufzte, denn Schreibarbeit war überhaupt nicht ihr Fall. Richards auch nicht – aber dafür hatte man ja seine Untergebenen.
Eine plötzliche Erschütterung des Schiffes riss Ynarea aus ihrer Langeweile.
„Sieht aus, als könnte ich doch noch was in diesen Bericht schreiben, was sich reinzuschreiben lohnt“, murmelte sie mit einem Anflug von Sarkasmus.
Sie kann nicht dazu. Die Anzeige auf ihrer Konsole flackerte ein paar Mal.
„Mist, nun sind auch noch die drei Sätze weg, die ich mir bisher mühsam abgekrampft habe“, fluchte sie in Gedanken.
Bevor Ynarea die Fehlfunktion herausfinden konnte, ging eine weitere, diesmal enorm heftige Erschütterung durch das Schiff. Die stellvertretende Sicherheitschefin der USS Estrella del Alba wurde von ihrem Stuhl gerissen und landete unsanft auf dem harten Boden.
Ihre Konsole sprühte Funken und stieß Rauch in die Luft. Die Beleuchtung fiel aus und überall heulten die Sirenen der Alarmstufe Rot.
Benommen richtete die junge Trill sich auf und befühlte ihren Kopf. Warmes Blut rann zwischen ihren Fingern hindurch, scheinbar hatte sie eine Platzwunde abbekommen.
Geradezu reflexartig berührte sie ihren Kommunikator. „Tohan an Brücke. Ich bitte um einen Bericht.“
Niemand antwortete und Ynarea fröstelte, obwohl es im Raum drücken heiß war. Hatte lediglich die Schiffskommunikation den Geist aufgegeben oder … lebte auf der Brücke niemand mehr?
Ihr wurde regelrecht schwindelig, als ihr einfiel, dass vielleicht auch Commander Harris nicht mehr lebte.
Sie betätigte den Kommunikator ein zweites Mal und gab sich große Mühe, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Tohan an Sicherheit – Wer immer mich gerade hört: Versuchen Sie herauszufinden, was geschehen ist, kümmern Sie sich um mögliche Verletzte und gehen sie den Reparaturmannschaften zur Hand.“
Wieder nur Rauschen am anderen Ende der Verbindung.
Ynarea holte tief Luft, dann versuchte sie den Sicherheitschef zu kontaktieren.
Auch dieser Versuch blieb erfolglos.
Sie hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass jemand sie später zurückrufen und Befehle übermitteln würde, doch bis dahin konnte sie nicht untätig herumsitzen und warten.
„OK, dann geh auf die Krankenstation, sieh nach dem Rechten und versuche zu helfen, wo du kannst“, spornte sie sich selbst an.
Ein Ensign aus ihrer Truppe lief ihr über den Weg und atmete erleichtert auf, als er sie sah. Seine Miene verriet, dass er völlig aufgewühlt und verunsichert war. „Lieutenant, Gott sei Dank, Sie leben noch! Hier herrscht das blanke Chaos, alles ist ausgefallen … was sollen wir tun?“
Ynarea überlegte einen Moment. Die Schiffssysteme hatte natürlich oberste Priorität – doch was konnte sie tun, um sie wieder zum Laufen zu bringen?
Nicht viel. Sie war kein Ingenieur.
Doch irgendetwas musste sie dem jungen Mann jetzt sagen – etwas, das ihn beruhigte, motivierte und vor allem verhinderte, dass er den Kopf verlor. Das war ihre Pflicht als ranghöherer Offizier.
Also fasste sie den gehetzt um sich blickenden Fähnrich bei den Schultern und sah ihm direkt in die Augen. „Alles gut, Ensign. Atmen Sie durch. Ich habe versucht, Kontakt zur restlichen Sicherheitsmannschaft und zur Brücke aufzunehmen. Aber die Kommunikation scheint ausgefallen zu sein. Fürs erste sind wir außer Gefahr, wie es scheint. Jedenfalls gab es keine weiteren Explosionen oder Erschütterungen. Ich schlage vor, dass wir uns jetzt zur Brücke durchschlagen. Wir müssen herausfinden, was vorgefallen ist, das Schiff sichern und helfen, die Schäden zu beheben. Falls noch jemand von den ranghöheren Offizieren am Leben ist, warten wir auf Befehle.“
„Falls noch jemand am Leben ist?“, wiederholte der Fähnrich mit schreckgeweiteten Augen.
„Himmel, Sie sind hier bei der Sternenflotte und nicht in Flotters Märchenwald!“, gab sie leicht ungehalten zurück. „Wurden Sie nie für den Ernstfall trainiert? Oder haben Sie diesen Kurs einfach verschlafen? Falls ja, dann hören Sie mir jetzt gut zu, den ich sage es Ihnen nur einmal: Sie reißen sich zusammen! Sie tun, was sich sage! Sie konzentrieren sich auf Ihre momentane Aufgabe und sonst nichts! Dann haben wir eine reale Chance, mehr oder weniger heil aus diesem Desaster rauszukommen.“
„Aye, Ma’am“, erwiderte der Fähnrich verschämt.
In Krisensituationen wie dieser war Ynarea froh, dass ihr Symbiont früher in einem erfahrenen Sternenflottenoffizier gesteckt hatte. Dem war allerdings auch der rüde Ton zu verdanken, den der junge Mann eben zu hören bekommen hatte.
Im nächsten Moment tat es ihr Leid. Aber es schien zu wirken.
Nichtsdestotrotz fügte sie hinzu: „Ich verstehe ja, dass die Situation Ihnen Angst macht. Mir auch. Aber durchzudrehen ist das Letzte, was wir uns jetzt leisen können!“
„Verstehe, Ma’am“, antwortete der Fähnrich – sichtlich ruhiger.
„Da das geklärt wäre: Versuchen Sie, Kontakt zum Maschinenraum aufzunehmen. Krabbeln Sie durch die Schächte, wenn das Comm-System nicht anspringt! Kümmern Sie sich um das automatische Kontrollsystem. Berichten Sie mir anschließend über den Zustand des Schiffes. Ich gehe erst mal auf die Krankenstation und lasse meine Wunde verarzten. Die scheint zwar nicht so schlimm zu sein, aber eine Gehirnerschütterung brauche ich auch nicht. Dann versuche ich, die Brücke zu erreichen. Alles klar?“
„Alles klar. Bin schon unterwegs!“ Mit diesen Worten eilte der Fähnrich Richtung Maschinenraum.
Ynarea schaute ihm einen Augenblick nach, dann suchte sie die Wand nach einem Jeffriesröhren-Einstieg ab, um auf die Krankenstation zu gelangen. Als sie endlich eine Luke gefunden hatte, musste sie feststellen, dass diese verbogen und nicht mehr zu öffnen war.
„So ein Mist! Aber wozu habe ich einen Phaser. Ein guter Sicherheitsoffizier kann damit alles anfangen“, wiederholte sie in Gedanken eine weitere Regel ihres Chefs.
Sie stellte die Waffe auf eine desintegrierende Stufe, um das Schott aufzulösen. Als sie sicher war, dass sich niemand in der Nähe befand, den sie gefährden konnte, feuerte sie auf die Metalltür, die sich in einem orangeroten Glühen auflöste. Sobald der Weg zur Jeffriesröhre frei war und die glühenden Ränder der Luke sich allmählich abkühlten, deaktivierte und sicherte Tohan ihren Phaser, verstaute ihn im Holster an ihrem Gürtel und kletterte in die Röhre. Vor ihr lag ein Aufstieg über sieben Decks.
„Wer braucht da ein Fitnessstudio“, dachte sie zynisch.
Deck 3 – Krankenstation
Der Tag war ruhig, ja beinahe langweilig angebrochen – genau wie es sich Dr. Amelie Cassiopeia Madison gewünscht hatte. Wenn überhaupt Patienten auf die Krankenstation kamen, dann waren es kleinere Unfälle oder Beschwerden, mit denen das medizinische Hilfspersonal locker fertig wurde.
Das gab der schlanken, dunkelblonden Halbrigelianerin die Gelegenheit, unerledigten Papierkram zu bearbeiten, den neuen Dienstplan aufzustellen und sonstige Routineaufgaben zu erledigen.
Während sie grade ein paar Patientenakten durchsah, bebte ihr Schreibtisch.
Ihr Kaffee kippte um und ergoss sich über die Computerkonsole.
Erschrocken fuhr Amelie hoch. Das war mehr als nur eine kleinere Erschütterung, die von einem technischen Defekt herrührte. Es fühlte sich eher an wie das Erdbeben, das die Ärztin bei ihrem letzten Hilfseinsatz in einer abgelegenen Föderationskolonie erlebt hatte.
Ein Film von kaltem Schweiß überzog ihre Handinnenflächen. Das war nicht gut … Gar nicht gut!
Im nächsten Augenblick ging der Alarm los.
Amelie reagierte sofort, wie es sich für eine Sternenflottenärztin mit ihrer Erfahrung gehörte. Ohne lange zu überlegen, schaltete sie ihre Comm-Anlage ein: „An das gesamte medizinische Personal, bitte halten Sie sich für eine Notsituation an Bord einsatzbereit.“
Nichts. Die Leitung war tot.
„Mist!“, fluchte sie. Nun musste sie sich wohl oder übel darauf verlassen, dass ihre Kollegen, die nicht im Dienst waren, aus eigener Initiative hier auftauchen würden, wenn sie merkten, dass Not am Mann war.
Die Ärztin war sich sicher, dass hier bald jede helfende Hand gebraucht wurde.
„Wird wohl doch kein ruhiger Tag“, dachte sie mit einem Stoßseufzer.
Eiligen Schrittes verließ sie ihr Büro und stürmte in den Empfangsbereich der Krankenstation.
Gemeinsam mit ihren Assistenten begann sie, die Krankenstation für das Eintreffen von Verletzten vorzubereiten.
Die Schritte, die plötzlich hinter ihr ertönten, klangen fremdartig, mehr wie ein Schlurfen und Trappeln …
Ob das bereits der erste Verwundete war?
Amelie fuhr herum und zuckte leicht zusammen, als sie in die riesigen Facettenaugen von Lieutenant Mosr’anangq’uaig’ht starrte. An das Gesicht der Xindi, die auf den ersten Blick an eine übergroße Ameise erinnerte, hatte sie sich immer noch nicht gewöhnen können. Dabei gehörte Mosr’anangq’uaig’ht – oder Mosq, wie sie kurz und bündig genannt wurde – schon seit zwei Monaten zu ihrem Stab.
„Tut mir leid, Doc“, entschuldigte sich die Xindi mit dem unaussprechlichen Namen. Ihre Stimme setzte nach sekundenlanger Verzögerung ein, während ihre Kieferzangen bereits das typische Klicken und Schnarren von sich gaben, bevor der Universalübersetzer es in verständlichen Tönen wiedergab. „Ich wollte sie nicht erschrecken.“
„Schon gut.“ Amelie rang sich ein Lächeln ab. Das hier war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort für ihre Insektenphobie.
Endlich hatte es Tohan geschafft, die sieben Decks hinter sich zu lassen, und stand vor der Tür der Krankenstation. Trotz ihres ausgezeichneten Trainings war sie leicht außer Atem. Noch ein Schritt trennte sie von der Linderung ihrer rasenden Kopfschmerzen. Sie hatten harmlos angefangen, waren aber durch die anstrengende Kletterei immer schlimmer geworden. Ynarea tat diesen Schritt und die beiden Schotthälften zur medizinischen Abteilung des Schiffes glitten auseinander.
Ein wahres Katastrophenszenario bot sich der jungen Sicherheitsoffizierin. Verwundete Crewmitglieder – blutend und mit Verbrennungen übersät – krümmten sich auf den Untersuchungsliegen. Krankenschwestern, Sanitäter und Assistenzärzte wuselten durcheinander, um die Verletzten so schnell wie möglich zu versorgen.
Angesichts dieses Elends schämte sich die Trill beinahe, mit einer leichten Kopfverletzung hier aufzutauchen. Vielleicht sollte sie sich einfach das nächste Hypospray schnappen, ein Schmerzmittel in ihre Halsschlagader pumpen und weitermachen.
Nur dummer Weise war den Hyposprays, die teils unbeaufsichtigt auf Tabletts mit medizinischer Ausrüstung lagen, nicht anzusehen, was drin war. Es konnte Ynareas Kopfschmerzen verschwinden lassen – oder sie gleich ins Koma versetzen.
„Doktor Madison?“, rief sie. Wo steckte die Chefärztin nur? Vielleicht in ihrem Büro?
Ynarea blickte sie sich suchend um und entdeckte unter den Verwundeten ein Mitglied ihres Teams.
„Lieutenant Craine?“ Die Trill konnte das Entsetzen in ihrer Stimme nicht ganz unterdrücken, denn fast die gesamte rechte Gesichtshälfte des Mannes war verbrannt.
Die Xindi-Assistenzärztin – Ynarea konnte sich den Namen dieses riesigen Insektenwesens beim besten Willen nicht merken – behandelte die Verletzungen mit einem Hautregenerator, Lieutenant Craine wimmerte dennoch vor Schmerz.
„Jacob!“ Mit wenigen Schritten war Ynarea bei ihm und hielt seine Hand. „Das wird schon wieder“, beschwichtigte sie ihn.
Er nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
„Melden Sie sich bei mir, wenn Sie wieder diensttauglich sind. Ich kann zur Zeit jede Hilfe gebrauchen“, bat sie ihn sanft aber nachdrücklich.
„Der Chief …“, presste Craine heraus.
Ynarea schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich hab keine Ahnung, wo Commander Harris steckt.“ Oder ob er noch lebt, fügte sie in Gedanken hinzu und ihr Magen zog sich zusammen.
„Lieutenant Tohan?“, ertönte plötzlich die Stimme der Chefärztin hinter ihr.
Ynarea wandte sich um. „Da sind Sie ja, Doc!“ Die Erleichterung war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Endlich würde ihr Schädel davor bewahrt, zu zerspringen! Außerdem war es möglich, dass die Ärztin hilfreiche Informationen von einem ihrer Patienten aufgeschnappt hatte. Vielleicht konnten sie dieses mysteriöse Desaster gemeinsam aufklären.
„Was zur Hölle ist hier passiert?“, fragte Amelie, während sie ihren Tricorder in die Hand nahm und routiniert zu scannen begann.
„Das wollte ich Sie gerade fragen.“ Ynarea lächelte leicht. „Ich brütete gerade über meinem Sicherheitsbericht, da schleuderte mich diese Erschütterung vom Stuhl. Ich habe Cartoonvögelchen gesehen und den Fußboden geküsst und mir dabei das hier zugezogen.“ Sie deutete auf die Wunde an ihrer Schläfe.
Amelie untersuchte die Verletzung bereits. „Das sieht nicht sehr ernst aus …“
„Wenn es nichts Ernstes ist, dann verarzten Sie mich bitte schnell!“, drängte Ynarea.
Die Ärztin warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Normalerweise behandelte sie in Krisensituationen die schweren Fälle zuerst und ließ die Leichtverletzten warten.
„Ja, ich weiß, andere hier hat es viel schlimmer erwischt als mich“, fuhr die Trill hastig fort, als hätte sie Amelies Gedanken gelesen. „Aber ich muss dringend zur Brücke und das Schiff sichern … herausfinden, wer da oben noch lebt … im schlimmsten Fall das Kommando übernehmen … Aber dazu muss ich mich konzentrieren, verdammt noch mal! Das kann ich nicht, wenn sich mein Gehirn anfühlt, als würde es eben von innen an die Schädeldecke genagelt werden!“
„Nun mal langsam!“ Dr. Madisons Blick war der einer Lehrerin, die einen zappeligen Schüler zur Ruhe ermahnte.
Die Trill bemühte sich, nicht allzu fasziniert zurück zu starren. Der Kontrast, den diese goldenen Augen zu Amelies jugendlicher Erscheinung boten, bereitete ihr eine leichte Gänsehaut. Obwohl Dr. Madison bereits auf die Fünfzig zuging, zeigte ihr Gesicht kaum Falten oder andere Spuren des Alters, was sie wohl ihrer rigellianischen Hälfte zu verdanken hatte. Doch aus ihren Augen war jegliche Spur von Naivität und Unschuld längst verschwunden. Es waren die Augen einer Frau, die im Laufe ihres bewegten Lebens zu viel Schlimmes gesehen hatte und dies hinter einer Fassade aus sarkastischem Humor zu verbergen versuchte.
Ynarea seufzte ungeduldig.
„Offenbar ist der Bordfunk ausgefallen“, erklärte Amelie, während sie mit Hilfe des Tricorders eine erste Diagnose erstellte. „Haben Sie Symptome wie Schwindel oder Übelkeit?“
Ynarea war etwas irritiert von dem plötzlichen Themenwechsel.
„Ja, mir war etwas schwindelig … Am Anfang. Ich nehme an, das rührte von meinem unvorhergesehenen Rendezvous mit dem Fußboden her. Aber jetzt ist es weg.“
„Gut! Das heißt, Sie haben offensichtlich keine Gehirnerschütterung“, stellte Madison zufrieden fest.
„Fein.“ Die Sicherheitsoffizierin atmete tief durch. „Aber viel mehr interessiert mich, wie der Status Ihrer Abteilung ist und ob Sie Hilfe brauchen oder etwas wissen, was mir weiterhelfen könnte!“
Ynarea hätte die Ärztin am liebsten gepackt und kräftig durchgeschüttelt, als diese scheinbar seelenruhig die Anzeigen von ihrem Tricorder ablas und sich Notizen auf einem Datenpadd machte. Verdammt, begriff die gute Frau den Ernst der Lage nicht oder hatte sie womöglich selbst eins auf den Schädel bekommen?
„Himmel, Doc, wir haben jetzt keine Zeit für medizinische Feldforschung! Ich brauche einen Statusbericht und ich brauche ihn schnell – sonst knutschen wir bald einen 500 Kilometer breiten Asteroiden! Ich fürchte, dass bedeutet richtig Arbeit für Sie und Ihre fleißige Ameise … falls einer von uns den Zusammenstoß überlebt!“
Lieutenant „Mosq“, die Ynareas Wunde verarztete, klapperte ärgerlich mit den Beißzangen.
„Entschuldigung“, erwiderte die Trill zerknirscht. Jemanden, der sie gerade von übelsten Kopfschmerzen befreite, mit einem Krabbeltier von der Erde zu vergleichen, war wirklich nicht nett.
Dr. Madision blickte sie durchdringend an. „Erstens dulde ich keine rassistischen Bemerkungen auf meiner Krankenstation, zweitens bin ich ranghöher als Sie und muss auf Ihren Befehl keinen Bericht liefern. Drittens: So wie es aussieht, weiß ich auch nicht mehr als Sie.“
Ynarea wurde immer wütender. Diese Göttin in Weiß sollte dringend ihr Ego zurücknehmen! In einer Situation, wo es um Leben und Tod ging, auf ihren höheren Rang zu pochen, war ja wohl das Allerletzte!
„Dann berichten Sie mir doch bitte alles, was Sie mitgekriegt haben, damit ich selbst beurteilen kann, ob Sie tatsächlich keine Ahnung haben, oder ob es nur so aussieht!“, entgegnete die Sicherheitsoffizierin mühsam beherrscht.
In diesem Moment wurde das Schiff von Achtern erneut durchgerüttelt. Einige Patienten fielen aus ihren Betten und kugelten über das Deck. Ynarea konnte sich rechtzeitig an ihrer Diagnoseliege festhalten, aber Madison stürzte ebenfalls.
„Alles in Ordnung, Doc?“, fragte Ynarea, während sie der Ärztin aufhalf.
„Wie sie schwer übersehen können, haben wir hier gut ein Dutzend Verletzte“, erwiderte Amelie mit finsterer Miene und rieb sich ihren schmerzenden rechten Ellbogen. Zwischendurch wies sie zwei eintreffende Assistenten kurz an, OP 1 und 2 in Bereitschaft zu versetzen. „Schäden auf der Krankenstation wurden mir bisher nicht gemeldet, aber da die Computersysteme teilweise ausgefallen sind und offenbar auch die Kommunikation defekt ist, habe ich natürlich keine Ahnung, wie es im Rest des Schiffes aussieht. Wir haben zwei Patienten in kritischem Zustand, die anderen sind weniger schwer verletzt. Aber auch von denen kann mir keiner sagen, warum sich das Schiff plötzlich in ein Katastrophengebiet verwandelt hat. Ich hoffe, da genügt Ihnen als Statusbericht, Lieutenant. Mehr habe ich leider nicht zu bieten.“
„Es tut mir Leid“, erwiderte die Sicherheitsoffizierin aufrichtig.
Als hätte das erneute Beben ihr Gehirn wieder an die richtige Stelle gerückt, verstand Ynarea mit einem Mal, unter welchen Druck die Ärztin stand und dass ihre aufgesetzte Gelassenheit nichts weiter als ein notwendiger Schutzwall war. In einem solchen Chaos die medizinische Versorgung zu koordinieren, war alles andere als ein einfacher Job. Amelie erledigte diesen Job mit einer Ruhe und Professionalität, die Ynarea sich selbst nicht zutraute.
Hatte sie deshalb diese ungezügelte Wut auf Amelie empfunden? Projektzierte sie womöglich ihre eigene Unsicherheit?
Der Counsellor hätte bestimmt was dazu zu sagen, dachte sie bitter.
Doch er würde es niemals tun, denn er war tot. Bei ihrer Kletterpartie über sieben Decks war sie buchstäblich über seine Leiche gestolpert. Er lag am Boden eines Turboliftschachts mit gebrochenem Genick und starrte sie aus seinen toten Augen beinahe vorwurfsvoll an.
Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter, als sie daran dachte. Sie war kein Freund von Seelenklempnern und hatte mit Counsellor Nils Ericson außerhalb ihrer Pflichtsitzungen zur Mannschaftsbeurteilung fast nichts zu tun gehabt.
Dennoch war der Anblick ein Schock für sie, der sich tief in ihr Bewusstsein eingebrannt und augenblicklich ihre Kopfschmerzen verschlimmert hatte.
Harscher, als es normalerweise ihre Art war, fuhr Dr. Madison fort: „Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass irgendwann jemand vom Kommandostab hier herunter kommt und uns ins Bild setzt. Normalerweise erfahren wir in der Krankenstation immer als letzte, wenn irgendwas passiert.“
„Es gibt noch etwas, dass Sie erfahren sollten.“ Lieutenant Tohan schloss für einen Moment die Augen, holte tief Luft. „Counsellor Ericson ist tot“, stieß sie schließlich hervor.
Amelie rang sichtlich um ihre Fassung, drückte entsetzt eine Hand auf den Mund. „Nils?“, hauchte sie.
„Es tut mir Leid“, erwiderte Tohan nun zum zweiten Mal.
Für die Trill war es hart, aber für Amelie mochte es ein Vielfaches schlimmer sein. Sie und Nils waren befreundet gewesen, sie hatten auch dienstlich eng zusammen gearbeitet.
Die Ärztin wandte sich ab. „Wie geht es ihrem Kopf, Lieutenant?“, fragte sie halb erstickt.
„Bestens, danke“, antwortete die Trill leicht abwesend.
„Gut, Sie sind entlassen. Gehen Sie auf die Brücke und lassen Sie mich hier meine Arbeit machen.“
Ynarea nickte nur und sprang von der Diagnoseliege. Sie beschloss, sich den schnippischen Tonfall Madisons nicht zu Herzen zu nehmen. Die Ärztin galt gemeinhin als etwas launisch, doch unter diesen Umständen hielt sie sich hervorragend.
Jeder hatte das Recht, unwirsch zu reagieren, wenn er gerade einen Freund verloren hatte.
Das Einzige, was Petty Officer Enrico Martinelli sah, waren grüne und rote Punkte. Er hatte sich vom Wissenschaftslabor in Sektion 32 zur Krankenstation geschleppt und jede Orientierung verloren. Seine Lunge brannte, seine Haut brannte und seine Beine fühlten sich wie Pudding an. Er hatte kein Zeitgefühl mehr. Vielleicht war er längst auf der Krankenstation, vielleicht auch in der Hölle.
Er erinnerte sich, wie das Schiff schlingerte. Irgendwo hatte es gerumpelt, dass tat es einen Schlag, eine grelle Explosion löschte sein Augenlicht, betäubte sein Gehör. Martinelle wusste nicht wie lange er ohnmächtig gewesen war. Die Kulisse aus Trümmern und geschäftig herum wuselnden Menschen, die er nur als Schemen ausmachen konnte, zeigte ihm, dass irgendein schweres Unglück das Schiff getroffen haben musste.
Das Plasmalabor, in dem er mit einigen Wissenschaftlern gearbeitet hatte, wurde offenbar von einer Feuerwolke gefressen.
Halb blind auf den Knien kriechend, hatte er direkt in das zerfetzte Gesicht von Lieutenant Taval, des Chefanalytikers, gegriffen. Um den leblosen Körper des Vulkaniers hatte sich eine blutige Lache gebildet. Die Explosion musste Taval mit voller Wucht getroffen haben und Martinelli würgte jedes Mal, wenn er daran denken musste.
Ebenso als er sich erinnerte, wie Lieutenant McDougal, der junge Archäologe, zwischen zwei deformierten Konsolen eingeklemmt lag, von denen eine seine Rippen zertrümmert hatte.
Hoffentlich hatten seine Erste-Hilfe-Maßnahmen ausgereicht, um McDougal am Leben zu halten!
Die Kommunikation war tot, die Luft von Rauch geschwängert. Martinelli spürte eine Hitze von der gegenüberliegenden Korridorwand. Aus den Schiffsplänen wusste er, dass dort Plasmaleitungen verliefen. Sie musste geborsten sein. Ein Brand, der sich langsam über die Labore ausbreitete, schwelte im Geheimen. Entfernt hörte der Hilferufe in verschiedenen Sprachen, die er nur wenig verstand. So schleppte er sich durch den Rauch. Eine Jeffriesröhre hatte ihm geholfen, das nächste Deck zu erreichen.
Zischend öffneten sich die Türen der Krankenstation. Offenbar war dieser Teil des Schiffes nicht so in Mittleidenschaft gezogen worden.
Er hörte Stimmen. Die eine gehörte der Chefärztin, die andere konnte er nicht identifizieren. Er tat zwei unsichere Schritte in den Raum, wankte, hielt sich an irgendeiner Kante fest.
Blind und verwirrt, wie er war, rief er so laut er konnte: „Ist hier jemand? Ich brauche Hilfe! … Deck 2, Plasmalabor … Explosion, Plasmabrand … Lieutenant McDougal verletzt, T’Val ist tot und die anderen … Ich weiß nicht …“
Seine eigene Stimme klang fremd, heiser.
Martinelli konnte den gestammelten Satz nicht vollenden. Sein Bewusstsein trübte sich ein und er spürte nicht einmal mehr, wie seine Beine wegknickten.
Tohan, die die Krankenstation eben verlassen wollte, reagierte sofort und griff geistesgegenwärtig nach den stürzenden Petty Officer. Er fiel ihr direkt in die Arme und Ynarea fing ihn auf. Sie war zwar eine zierliche Frau, hatte aber durch ihr jahrelanges hartes Kampfsporttraining einiges an Körperkraft gewonnen.
Martinelli, der die weichen Arme der Frau spürte und das blumige Parfüm unter dem allgegenwärtigen Gestank von Rauch und Schweiß erschnupperte, schlug für eine Sekunde die Augen auf und lächelte verklärt.
„Belinda, endlich bist du wieder bei mir!“
Dann glitt er erneut in die Dunkelheit.
Behutsam legte Ynarea ihn auf eine der wenigen freien Pritschen und rief nach einem Sanitäter.
Ein gut zwei Meter großer Caitianer eilte sofort herbei. Er hatte Ähnlichkeit mit einem Löwen in Uniform – besonders da er auf allen Vieren lief, um schneller zu ihr zu gelangen. Mit einem eleganten Satz landete er neben der Diagnoseliege. „Ensign P’Lor zu Diensten“, meldete er und richtete sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe auf.
„Danke für die Hilfe, P’Lor.“ Ynarea lächelte, doch dieses Lächeln verblasste, als ihr die gestammelten Worte Martinellis wieder in den Sinn kamen.
„Ensign, gibt es unter Ihren Kollegen jemanden, der etwas von Plasmabrandbekämpung versteht?“
„Hm …“ P’Lor schüttelte seine dichte Mähne. „Ich bin zwar kein Feuerwehrmann, aber …“ Er sah sich nach der Chefärztin um und entdeckte sie zwei Betten weiter, wie sie den gebrochenen Arm einer Technikerin schiente. „Dr. Madision …“
Die Ärztin reagierte erst, als ihre Patientin ausreichend versorgt war. „Was gibt’s, P’Lor?“
„Das Plasmalabor steht womöglich in Flammen“, antwortete Ynarea anstelle des Caitianers. „Ich würde ja bei den Löscharbeiten helfen, aber – wie gesagt – ich muss zur Brücke. Außerdem wäre es gut, wenn Sie mir einen Sani mitgeben könnten, dort oben gibt es mit Sicherheit auch Verletzte.“
„In Ordnung. P’Lor – Sie begleiten Lieutenant Tohan“, entschied Dr. Madison.
„Und das Plasmalabor?“
Madison überlegte eine Sekunde. „Ich gehe dort hin.“
Tohans Blick wanderte von ihr zu Martinelli, dessen Arme und Brust schwer verbrannt waren.
Zum Glück tauchte der stellvertretende Chefarzt, Dr. Klax, auf und zückte sofort sein Notfall-Medkit.
„Keine Sorge, Lieutenant, ich kümmere mich um ihn“, verkündete der Denobulaner. Gleichzeitig begann er zu scannen. „Plasmaverbrennungen zweiten und dritten Grades, mittelschwere Kohlenstoffmonoxydvergiftung. Dazu eine Schädigung der Sehnerven, die sich aber beheben lässt“, diagnostizierte er knapp und ging mit einem Dermalregenerator ans Werk.
Amelie schnappte sich ein Notfallset und wandte sich zum Gehen. „Tohan, können Sie mir sagen, wie ich am schnellsten zum Plasmalabor gelange, falls die Turbolifte außer Betrieb sind?“
„Klar.“ Tohan nickte. „Sie nehmen Jeffries Röhre AA23 und halten sich immer links. Das Labor ist genau ein Deck über der Krankenstation. Sie können es gar nicht verfehlen.“ Dann lächelte sie flüchtig. „Viel Glück, Doc.“
Der Caitianer tat bereits einen Satz durch die Tür, Ynarea warf einen letzten Blick zurück. Jetzt, da die Behandlung Martinellis in kompetenten Händen lag, konnte sie ruhigen Gewissens auf die Brücke gehen.
Deck 20-23 Hauptmaschinenraum
Lieutenant Commander Culloden McPherson wischte sich den Dreck und Schweiß aus dem Gesicht, zog sich ächzend an seinem Arbeitsstuhl hoch, massierte seinen schmerzenden Hintern und betrachtete missmutig, was von seinem Maschinenraum noch übrig war.
„Das darf doch nicht wahr sein, mein schöner Warpfeldmodulator!“, jammerte er, als sein Blick auf einen qualmenden Haufen Schrott fiel, der gestern noch sein ganzer Stolz und die Zierde des Maschinenraums gewesen war.
Der Chefingenier der ESTRELLA hatte Wochen damit zugebracht, dieses Stück fortgeschrittene romulanische Technologie an die Systeme des Schiffes anzupassen und dabei ein Maximum an Leistung rauszuholen.
Jetzt ähnelte der Warpfeldmodulator eher einem surrealistischen Kunstwerk und McPherson war kurz vor einem Wutanfall. Er mochte keine weichen Uhren und erst recht keine weichen Warpspulen!
Ungehalten tippte er auf seinen Kommunikator – besser gesagt: Er schlug ihn.
„McPherson an Brücke – Es gab eine Explosion im Maschinenraum. Kann mir bitte jemand sagen, wer oder was dafür verantwortlich ist?“
Keine Antwort.
Na Klasse – wahrscheinlich sah die Comm-Leitung auch nicht besser aus als sein armer Warpfeldmodulator.
Erst jetzt bemerkte Culloden zwei reglose Körper neben den Kontrollkonsolen für den Impulsantrieb. Er schnappte erschrocken nach Luft, als er die beiden Männer erkannte. „Berman? Vinetti?“
Sie hatten schwere Verbrennungen an den Händen und Unterarmen, keiner von beiden rührte sich.
Der Chefingenieur knirschte frustriert mit den Zähnen. Die Krankenstation zu rufen, hatte keinen Zweck, wenn das Comm-System tot war. Kurzerhand trat er gegen eine Wandverkleidung, die sogleich abfiel, und nahm sich zwei Medkits.
Seufzend hockte er sich neben die beiden leblosen Männer, heftete ihnen unbeholfen je zwei Kortikalstimulatoren auf die Brust und stülpte ihnen Beatmungsmasken über die bleichen Gesichter. Schließlich verabreichte er ihnen eine Dosis Innoprovalin und stand auf.
Gott sei Dank schlugen ihre Herzen noch!
Krankenstation … Culloden prüfte sowohl den Ingenieurslift als auch den Turbolift. Beide funktionierten nicht und er fluchte leise.
Die junge Frau hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie wusste nicht mehr, weswegen sie eigentlich in die Jeffriesröhre gekrochen war. Im ersten Augenblick des Erwachens kannte sie nicht einmal mehr ihren eigenen Namen. Sie erinnerte sich nur vage, dass ein Schlag sie außer Gefecht gesetzt hatte. Oder war es eine Druckwelle?
Ihr Blick war getrübt, wurde jedoch allmählich klarer. Explosionen hallten durch die Gänge, jagten Schockwellen durch das Schiff und durch ihren Körper. Geräusche von berstenden Leitungen und zerreißendem Metall ließen ihr Schauer über den Rücken laufen.
Wie ein Automat bewegte sie sich vorwärts in Richtung Maschinenraum.
Als sich das Schott unter ihren Händen öffnete, schlug ihr heißer Nebel entgegen. Ziemlich unelegant plumpste sie aus der Röhre und stöhnte schmerzerfüllt, als sie auf dem harten Boden des Maschinenraums aufschlug.
Lieutenant Astrid Kreuzer, stellvertretende Chefingenieurin der USS ESTRELLA DEL ALBA, hielt vor Schreck den Atem an, als sie endlich klar sehen konnte.
Dass der Warpkern ausgefallen war, erkannte sie auf den ersten Blick. Zwei Konsolen brannten lichterloh, ein paar Techniker versuchten das Feuer unter Kontrolle zu bringen und weitere Schäden zu verhindern.
Astrid berührte ihren Kommunikator, aber nichts passierte. Sie nahm an, dass er kaputtgegangen war, und probierte es mit der nächsten Wandkonsole. „Kreutzer an Brücke …“
„Sparen Sie sich die Mühe, Lieutenant“, kam die ungeduldige, leicht japsende Stimme ihres Vorgesetzten aus der Qualmwolke. „Die Kommunikation ist im Eimer. Gutes Stichwort übrigens: helfen Sie mir, das System wieder herzustellen.“
„Natürlich, Sir“, antwortete Astrid ruhig.
Das übrige Personal des Maschinenraums war von Cullodens Art schnell genervt. Ein war ein netter, lustiger, hilfsbereiter Kerl, doch besonders in Krisensituationen schien er Manieren und Einfühlungsvermögen für Luxus zu halten. Das war natürlich ebenso menschlich wie die beleidigte Reaktion einiger seiner Mitarbeiter.
Astrid jedoch war kein Mensch. Ihren irdischen Namen verdankte sie ihren Adoptiveltern, doch ihre blauen Haare und spitz zulaufenden Ohren verrieten ihre fremde Herkunft auf den ersten Blick. Sie gehörte zu einer sterbenden Rasse, deren Angehörige in der ganzen Galaxie verstreut waren. Einige lebten auf dem Planeten Plume am Rande des bekannten Universums. Astrid hatte eines Tages erfahren, dass sie dort geboren worden war, und kehrte als junges Mädchen zu ihren letzten lebenden Verwandten zurück, bevor sie – im zarten Alter von fünfzig oder sechzig – die Entscheidung traf, zur Sternenflotte zu gehen.
Man wusste fast nichts über die Angehörigen ihres Volkes – außer dass sie ungewöhnlich alt wurden. Vielleicht kam daher Astrids übermenschliche Gelassenheit, denn Zeit spielte für sie fast keine Rolle und obwohl sie physisch wie ein Teenager erschien, zählte sie schon vierundsiebzig Jahre. Womit sie bei ihrem Volk als grünes Gemüse galt.
Den Namen dieser Spezies konnte fast kein humanoides Wesen aussprechen. Ein Fähnrich aus dem Maschinenraum mit einem Faible für klassische Literatur taufte sie kurzerhand die „Tolkien“ – wegen ihrer optischen Ähnlichkeit mit den Elben aus dem „Herrn der Ringe“. Astrid gefiel der Klang dieses Namens und so bürgerte er sich ein.
Mit flinken Fingern tippte Astrid ihren Code in die nächstbeste funktionierende Konsole und rief den Status der Systeme ab: „Com-System ausgefallen, Warpkern ausgefallen, Impulsantrieb offline, Notenergie aktiviert … seltsamer Weise springt der Reserve-Fusionsreaktor nicht an. Die Noternergieversorgung läuft derzeit komplett über Batterie. Das wird nicht lange halten.“
Lieutenant Commander McPherson nahm den Bericht seiner Kollegin zur Kenntnis und brummte missbilligend.
„Und warum kriegen Sie den verdammten Reaktor nicht zum Laufen.“
„Wenn ich das wüsste, hätten wir das Problem wahrscheinlich längst behoben“, konterte sie scheinbar emotionslos.
Culloden – oder „Cully“, wie ihn seine Freunde nannten, verdrehte die Augen. „Alles, was spitze Ohren hat, nervt auf die gleiche Weise“, dachte er. Dabei verdrängte er geflissentlich seine eigenen vulkanoiden Gene, die ihm seine antarianische Mutter vererbt hatte.
„Notentlüftung …“, murmelte Astrid gerade. Ihre Augen tränten.
Cully grinste. Zufällig wusste er, wo sich die Sauerstoffmasken befanden. Er riss ein weiteres Stück Verkleidung von der Wand und entnahm zwei Masken, von denen er eine seiner Kollegin reichte. „Versuchen Sie’s mal damit.“
Deck 19 Torpedokatapulte, Bugsektion 14:29 Uhr
Als Taren hinter Richard aus der Jeffriesröhre kletterte, blickte er den Lieutenant Commander grimmig an und knurrte: „Jetzt weiß ich, wie sich das Plasma in den verdammten Warpspulen fühlen muss!“
Richard schmunzelte und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie der andorianische Lieutenant in einem letzten Aufbäumen von Optimismus eine der wenigen intakten Konsolen zu reaktivieren versuchte.
„Wann haben Sie das letzte Mal so etwas gemacht, Lieutenant?“, fragte er.
Der junge Andorianer atmete hörbar ein und aus, seine Antennen bogen sich nach innen – ein klares Zeichen, dass er verstimmt war. „Nur einmal – während des Dominionkrieges“, antwortete er widerwillig.
„Also wenigstens unter Gefechtsbedingungen. Das erste und letzte Mal, als ich so ein Ding von Hand abgefeuert habe, war ich auf dem Holodeck.“
Die Fühler des Andorianers krümmten sich noch weiter und er atmete zischend aus. „Holodeck?“
„Eine Holosimulation. Auf der Akademie.“
„Jetzt bin ich aber beruhigt“, gab Taren mit triefender Ironie zurück. „Wenn Sie mir jetzt noch erzählen, Sie hätten damit Ihren Mond auf zwanzig Meter Entfernung getroffen, brauche ich mich ja nur auf meinen Hintern zu setzen und abzuwarten, dass sie uns alle retten.“
„Ich glaube eher, Sie haben um Ihren blauen Hintern Angst“, entgegnete Richard unwirsch.
Taren verkniff sich einen passenden Spruch. Immerhin war Harris sein Vorgesetzter und in diesem Sinne hatte der Andorianer den Bogen jetzt schon leicht überspannt.
„Die Konsole ist tot“, murrte er. „Also auf die harte Tour.“ Damit deutete er auf die rechte Bodenklappe, während er selbst die Klappe links des Zuführungsschachtes, der von Deck 20 heraufführte, öffnete und begann, die Kontrollen des Abschussschachtes freizulegen.
Richard gelang es, mit Hilfe der Hebelmechanik die Bodenklappe auf seiner Seite Stück für Stück weiter aufzustemmen. Noch während er einen der Torpedos nach oben beorderte, öffnete sich bereits die schwere Verschlusspforte der Abschussrampe.
Für Tarens Geschmack dauerte es dennoch viel zu lange, bis der Torpedotubus endlich auf der Zuführungsschiene lag und sich ächzend Richtung Abschussrampe schon.
Kaum war der Torpedo richtig positioniert, ließ der Andorianer die Verschlusspforte zuschnappen und löste die Verriegelung für die Außenpforte. „So, das wäre …“
Taren wurde mitten im Satz unterbrochen, als ein Ruck durch das Schiff ging und ihn zusammen mit Richard gegen die Rückwand schleuderte. Überrascht blickte er zu seinem Vorgesetzten und fragte irritiert: „Wer, bei der schwarzen Kreatur der Verdammnis, hat jetzt das Schiff beschleunigt?“
„Keine Ahnung. Hellsehen kann ich auch nicht. Wer immer das war, denn werde ich Kielholen lassen. Ohne Raumanzug“, grummelte der Sicherheitschef, denn das war bereits sein zweites „stürmischen Rendesvouz“ mit einer Wand an diesem Tag.
„Und den Vollidioten, der unser Schiff in den Liropar-Gürtel geschickt hat, lass ich ein paar Asteroiden zum Frühstück essen – und zwar ohne Joughurt, Milch oder Fruchtsaft“, ergänzte er in Gedanken.
Laut sagte er: „Okay, die Torpedos sind geladen. jetzt müssen wir noch das Schiff ausrichten und feuern.“
„Nichts leichter als das“, bemerkte Taren sarkastisch.
„Können Sie heute auch noch irgendwas Anderes als Meckern?“, gab der Sicherheitschef ungehalten zurück.
Der Andorianer schluckte seinen Zorn herunter und wandte sich dem Einstieg der Jeffriesröhre zu. „Ich fürchte, der unerwartete Schub verkürzt die Zeit, die uns bis zum Abschuss verbleibt, Sir. Wir sollten uns also beeilen.“
„Dann beeilen Sie sich, verdammt! Die Physikstunde können wir ins Abendprogramm verlagern.“
„Da die Kontrollen hier unten tot sind, müssen wir wieder nach oben, und von der Brücke aus feuern“, fügte Taren gepresst hinzu. „Lassen Sie mich diesmal vorangehen.“
„Bitte sehr!“ Richard wies ihm mit einer übertrieben höflichen Geste den Weg. „Allerdings funktionieren auf der Brücke die Schubkontrollen aber nicht. Unwahrscheinlich, dass sich daran etwas geändert hat. Ich schlage vor, wir machen das vom Maschinenraum aus. Dort sind wir ohnehin schneller. Praktischerweise ist auch die Shuttlerampe auf dem selben Deck. Wir müssen noch das Notsignal absetzen. Also los!“
„Moment mal, Sir …“ Mit sichtlich nach innen gebogenen Antennen wandte sich der Andorianer an Harris. „Vom Maschinenraum aus pflegt man im Allgemeinen keine Torpedos abzufeuern. Vielleicht sollten Sie sich zum Maschinenraum begeben, während ich zur Brücke zurückkehre. Sobald ich auf dem Hauptschirm erkennen kann, dass die ESTRELLA ausgerichtet ist, werde ich den Asteroiden in kosmisches Streugut verwandeln.“
„In Notsituationen kann der Maschinenraum als Hilfsbrücke fungieren“, dozierte Richard.
Doch dann wurde ihm klar, dass der Andorianer nicht unrecht hatte. Da nicht bekannt war, wo die Steuersysteme der ESTRELLA gestört waren, konnte es durchaus passierten, dass er vom Maschinenraum aus die Waffen nicht abfeuern konnte.
„Okay, dann machen wir es so. Kehren Sie auf die Brücke zurück, Lieutenant“, entschied der Sicherheitschef daher. „Stellen Sie aber Ihren Kommunikator auf die Notfallfrequenz. Vielleicht gelingt es mir, das Comm-System eines Shuttles zu überbrücken, sodass wir Kontakt halten können.“
Die Antennen des Andorianers spreizten sich, zum Zeichen dafür, dass er mit der Entscheidung seiner Vorgesetzten hochzufrieden war. „Der Mann hat glasklar erkannt, dass uns die Zeit davonrennt, falls die Systeme im Maschinenraum nicht zufriedenstellend arbeiten sollten“, dachte er.
Deck 19 – Frachtraum, Achtersektion 14:29 Uhr
Kadett Gral fluchte und tobte, während er sich unter einem Berg aus leeren Transportcontainern hervor wühlte. Mit einem wütenden Grunzen schleuderte der korpulente Tellarit einige der leichteren Behälter gegen die Wand, wo sie scheppernd zerbrachen.
Der leitende Wissenschaftsoffizier hatte ihn in den Frachtraum geschickt, um einige Probenkoffer zu holen.
Plötzlich hatte das Schiff gebebt, einer der Behälter war ihm auf den Kopf gefallen und ließ immer noch Sternchen vor seinen Augen tanzen. Er fühlte sich schlimmer als nach dem Null-Schwerkraft-Training im letzten Jahr.
Missmutig aktivierte er seinen Kommunikator und musste feststellen, dass die Kommunikation ausgefallen war.
Schnaufend erreichte er schließlich den Eingang des Frachtraumes und zwängte sich durch das halb geöffnete Schott. Im Korridor brannte nur noch die Notbeleuchtung.
Die Energieversorgung musste also ebenfalls ausgefallen sein.
Der Kadett lief zum nächsten Turbolift und fluchte lauthals, als dieser auch nicht ansprang.
Wütend hämmerte er auf die Kontrollen des Lifts, bis er mit einem kläglichen Laut, irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Grunzen gegen die Wand sank und sich verzweifelt zu beruhigen versuchte.
„Denk nach, Gral, denk nach …“
Er scharrte aufgewühlt mit den Hufen, sein Blick durchbohrte ein nahegelegenes Bullauge. Schon in seiner Kindheit hatte der Anblick der Sterne einen wohltuenden Einfluss auf ihn besessen. Diesmal allerdings nicht. Die Dunkelheit sog seine Gedanken auf, die Sterne schienen zu kreisen. Nicht nur in seinem Kopf – sondern auch dort draußen.
Gral wollte sich eben abwenden, als er einen großen dunklen Schatten bemerkte, der sich rasch und bedrohlich dem Schiff näherte.
Sein Herzschlag setzte einen Moment aus. Was mochte das sein? Bestimmt nichts Gutes – davon war der Tellarit fest überzeugt. Blöder Weise konnte er das schwarze Ding aus dem All nicht identifizieren, so sehr er sich auch bemühte.
Es taumelte. Oder das Schiff taumelte. Oder Gral selbst.
Wahrscheinlich letzteres.
Der Kadett schloss die Augen, zwang sich, tief und regelmäßig zu atmen. Als das Schwindelgefühl nachließ, öffnete er die Augen wieder.
Gral wünschte, er hätte es nicht getan. Dann könnte er sich der Illusion hingeben, dass dieser Alptraum jetzt vorbei war, dass mit Sicherheit alles gut werden würde … und kein riesiger Asteroid auf dem Weg war, um das Heck der ESTRELLA zu zerquetschen, als wäre es ein Stück Alufolie.
Maschinenraum
Plötzlich hatte Cully einen Geistesblitz, nahm Astrid Kreutzer ihren Kommunikator ab und stellte diesen mithilfe seines Tricorders um. „So, jetzt müssten wir eine Verbindung herstellen können“, erklärte er zufrieden und gab sein er Kollegin den Kommunikator zurück. „Lieutenant, verriegeln Sie jegliche Türen und Luken bis auf diejenigen, die zu den Jefferiesröhren nach Frachtraum zwei führen“, ordnete er an. „Versiegeln Sie auch den Zugang von diesem Maschinendeck auf das obere und die beiden unteren Deck. Ich begebe mich über die Jeffries-Röhre dorthin. Wenn Sie fertig sind, stellen Sie sicher, dass jeder in diesem Raum sich irgendwo festhält – dann geben Sie mir Bescheid und ich öffne die Ladetore. Das sollte die Notfall-Kompresskapseln platzen lassen und die normale Atmosphäre wiederherstellen. Das Gas und Plasma wären wir dann los. Haben Sie verstanden?“
Astrid lächelte unter ihrer Maske. Auch wenn ihr Cully manchmal auf die Nerven ging, verstanden sie sich dennoch bestens – was nicht zuletzt daran lag, dass sie beide gern auf ungewöhnliche Lösungen setzten.
Durch die Rauchschwaden konnte sie ihren Boss nur noch als schemenhafte Gestalt wahrnehmen.
„Ich denke, Ihnen ist klar, dass ein nach außen geöffnetes Lagertor temporär wie ein Triebwerk wirkt“, gab sie mit einem Schmunzeln zurück.
„Das ist mir durchaus bewusst“, entgegnete Cully knapp. „Erachten Sie alles Nötige als versiegelt und die besagten Tuben als offen. Die neuen Masken, die wir bekommen haben, sind auch gegen Vakuum, sie können also ordentlich was raus lassen. Ich sorge dafür, dass hier niemand ohne Maske herumrennt.“
Astrid nickte und machte sich umgehend ans Werk – als das Schiff sich in Bewegung setzte, als würde es von einer gigantischen Hand angeschoben.
Cully dachte zunächst, der Druckausgleich durch das offene Ladetor wäre dafür verantwortlich und staunte, wie schnell seine spitzohrige Kollegin das bewerkstelligt hatte.
Noch ahnte er nicht, wie sehr er sich irrte …
Frachtraum
Kadett Gral starrte wie gelähmt auf den monströsen Felsbrocken dort draußen. Innerhalb weniger Minuten würde die Masse des Asteroiden den Duraniumträger der Hülle zusammenstauchen, das Tragwerk zerbrechen und die Panzerung sprengen.
Gral nahm an, dass es schnell ging. Das schien der einzige Trost, falls er es nicht rechtzeitig zu einem der Brandschotts schaffen würde. Sollte es zu einem Druckabfall kommen, würden diese Schotts sich automatisch schließen.
Allerdings war das nächste über siebzig Meter entfernt und Gral war noch nie der Sportlichste gewesen. Dennoch sprintete er los.
Das rettende Schott schien kein Stück näher zu kommen. So verrückt, wie es klang – das Schiff bewegte sich mit ihm. Gral keuchte – in erster Linie vor Schreck.
Der Asteroid füllte nun das gesamte Sichtfeld des Fensters aus. Gral zwang sich, weiter zu rennen, noch schneller … doch wie in einem Alptraum kam er scheinbar kein Stück vorwärts.
„Schneller, du Fettsack!“, schnauzte ihn eine bekannte aber ungeliebte Stimme von hinten an.
Kadett Hohl, der andere Praktikant in der wissenschaftlichen Abteilung.
Nomen est omen, dachte Gral genervt. Hohl war ein Tellarit, wie er – doch im Gegensatz zu Gral und den meisten anderen Angehörigen seines Volkes war er durchtrainiert, sogar einigermaßen schlank und darum so eingebildet, als wäre er Mister Universum.
Zu seinem unendlichen Frust hetzte Hohl an ihm vorbei, tat einen eleganten Hechtsprung durch das Schott, während Gral schnaufte und seine Lungen brannten.
Krachend, splitternd und brennend fraß sich der Asteroid durch die Hecksektion der ESTRELLA. Unmittelbar hinter Gral riss die Decke, ein Beleuchtungskörper explodierte und schickte einen Funkenregen zu Boden, der den Teppich in Brand setzte. Die Wand beulte sich gefährlich nach innen.
Gral schrie entsetzt auf, aber er konnte beim besten Willen nicht schneller laufen. Seine Beine fühlten sich jetzt schon an wie Pudding.
„Na los!“, drängte Hohl und keuchte. „Beweg deinen fetten Hintern her – lange kann ich das Schott nicht mehr aufhalten!“
Gral horchte auf. Mischte sich etwa Besorgnis in die Stimme dieses Schnösels?
In der Tat – Hohl stemmte sich mit Händen und Hufen gegen das Schott, das ihn zu zerquetschen drohte, sollte er in seiner Kraft nachlassen.
Gral – für einen Moment so erschöpft und verzweifelt, dass er sich am liebsten zu Boden geworfen und auf den alles zermalmenden Asteroiden gewartet hätte – gewann durch den Anblick seines ärgsten Feindes, der mit rot angelaufenem Gesicht und zitternden Muskeln das verdammte Schott aufstemmte, neue Energie.
Das Schiff bäumte sich auf wie ein Wildpferd, dem sein Reiter die Sporen in die Flanken bohrte. Gral wurde von den Füßen gerissen und landete hart auf seinem umfangreichen Bauch. Obwohl er in Sekundenschnelle wieder auf die Füße kam, rückte das Inferno aus splitterndem Glas und fliegenden Trümmern so nahe, dass eine Stichflamme beinahe seinen Pelz versengt hätte.
„Gral, verdammt, kommt schon!“, brüllte Hohl verzweifelt.
Irgendwo musste ein Leck in der Außenhülle sein, die Luft wurde ins All hinaus gesogen – und Gral beinahe mit ihr. Mit letzter Kraft stemmte er sich gegen den tödlichen Sog. Er wäre gerannt, wenn es ihm möglich gewesen wäre – doch nun konnte er froh sein, wenn er überhaupt vorwärts kam. Wie ein Betrunkener torkelte er den Gang entlang, der Boden unter ihm schwankte wie die Planke eines Segelschiffes, das in einen Orkan geraten war.
Da packte Hohl kurzerhand seinen Arm, zog seinen Kommilitonen mit sich ins Innere, während er gleichzeitig das Schott los ließ, das sich kreischend mit seiner Verriegelung paarte – nur knapp einen Zentimeter hinter Grals Füßen.
Gral schnappte nach Luft und zitterte am ganzen Körper.
„Danke“, brachte er schließlich hervor. „Aber das mit dem Fettsack zahl ich dir noch heim!“
Brücke
Ein Donner hallte durch das Schiff, gefolgt von einem heftigen Rütteln. Instinktiv hielt sich Lejla Katic an der Steuerkonsole fest. Wie es aussah, war einer der mittleren Brocken gegen das Schiff geprallt. Die Deflektorschilde mochten den schlimmsten Schaden abwenden, aber eine tiefe Delle gab das mindestens.
Lejla unterdrückte ein Seufzen, stieß sich von der Konsole ab und wandte sich an ihren bolianischen Kommunikationsoffizier. „Lieutenant Tiab, übernehmen Sie die Taktik, ich will wissen was da noch so alles auf uns zu kommt.“ Da die Nahbereichsscanner nur mit geringer Leistung arbeiteten, waren die kleinen Brocken nicht auf Tarens Scann zu sehen gewesen und Lejlas ganze Besorgnis hatte sich auf den großen Asteroiden fixiert. Doch nun sah sie ein, dass die kleineren auch nicht zu unterschätzen waren. Vor allem waren sie viel schneller.
Tiab hatte ebenfalls keinen Erfolg, als er die Flugbahn der kleine Asteroiden zu berechnen versuchte.
Jede Funktion, die er wiederherstellen konnte, offenbarte drei neue Systemfehler. Tiab war der Verzweiflung nahe. Doch auch wenn er innerlich kochte, ließ er sich nach außen wenig anmerken. Bolianer verleugneten ihre Gefühle zwar nicht, wie es Vulkanier taten, aber er wollte sich dennoch keine Blöße geben. Schließlich war er noch nicht lange auf dem Schiff und die anderen Brückenoffiziere sollten nicht auf die Idee kommen, dass er in schwierigen Situationen die Kontrolle verlor.
Gerade als er glaubte, seine Paorane – ein der menschlichen Wut ähnlicher Zustand – laut heraus schreien zu müssen, spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
„Sie machen das wirklich gut, Lieutenant“, beruhigte ihn Commander Katics sanfte Stimme.
Tiab musste daran denken, dass seine Schultern – genauer gesagt, sein ganzer Oberkörper – nackt waren. Er war gestürzt und an einer zerborstenen Konsole hängen geblieben, die von seinem Uniformoberteil nur ein paar nutzlose Fetzen übrig gelassen hatte. In ersten Moment überlegte er sogar, ob er den Bauch einziehen sollte, entschied jedoch, dass das albern war.
„Vielen Dank, Commander“, antwortete der Bolianer gerührt.
Womöglich wäre er nicht so verlegen gewesen, wenn er gewusst hätte, dass sich Katic bei der flüchtigen Berührung auch nicht sehr wohl fühlte. Die stellvertretende Kommandantin vermied normalerweise Körperkontakt, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass Tiab diesen Augenblick der Nähe gebraucht hatte.
Man konnte über junge Offiziere in Kommandopositionen sagen, was man wollte – im Umgang mit der Crew zeigte sie oft mehr Feingefühl als die so genannten „alten Hasen“. Manche Kommandanten wurden mit den Jahren abgebrüht, rümpfen sogar insgeheim die Nase über die Ängste und Sorgen der „Grünschnäbel“, obwohl diese Aufmunterung und Trost teils bitter nötig hätten.
Katic beugte sich über die Schulter des Bolianers und studierte die Anzeigen auf seiner Konsole.
„Ich versuche die zentralen Stellen des LCARS wiederherzustellen, um zumindest die Kommunikationsknoten an Bord wieder ans Laufen zu bekommen. Leider ist es nicht so einfach, die beschädigten Systeme zu umgehen. Die Leitungen zum Zentralcomputer sind teils abgeschaltet worden, um Zerstörung zu vermeiden. Ich habe sie größtenteils wieder hochgefahren und ich denke, wenn ich einen speziellen Notfall-Code, den ich bis gerade entwickelt habe, anwenden kann, sollten wir in der Lage sein, die Kommunikation wiederherzustellen“, erklärte Tiab nicht ohne Stolz.
„Sehr gut“, lobte Katic.
Die junge Kommandantin schien tatsächlich neue Hoffnung zu schöpfen, aber Tiab fürchtete, dass ein Fehler womöglich den Ausfall der gesamten Computersysteme zur Folge haben könnte. Gerade LCARS war sehr anfällig für Störungen, was dramatische Auswirkungen auf die Hardware haben konnte. Tiab musste schlucken. Die langen Erklärungen hatten seine Hals austrocknen lassen, zudem kostete es ihn Überwindung, hinzuzufügen:““Ich bin nicht sicher, ob das System der Belastung standhält. Sämtliche Datenbänke und Konsolen könnten nutzlos werden. Dann hätten wir nur noch manuelle Steuerungen und die Zentralkonsolen. Soll ich es wagen, Ma’am? Die Chancen stehen gut, dass alles richtig läuft: 85 zu 15, dass nichts passiert und die Kommunikatoren wieder funktionieren.“
„Tun Sie es, Lieutenant“, entschied Katic.
Dann wurde sie abgelenkt von einem sichtlich erschöpften Andorianer, der plötzlich auf der Brücke aufgetaucht war. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und den Antennen.
„Der Torpedo ist abschussbereit“, berichtete er atemlos. „Harris ist auf dem Weg zum Maschinenraum und versucht, das Schiff korrekt auszurichten!“
„Hervorragend, Mr Taren!“, erwiderte Lejla bewundernd – mit einem Quäntchen Überraschung.
Währenddessen löste Taren den Bolianer an der taktischen Konsole ab. „Unterstützen Sie den Commander dabei, die Steuersysteme in Gang zu bringen, Lieutennant“, befahl er.
Nach einem Blick auf den Hauptbildschirm fluchte er lautstark auf andorianisch, so dass lejla sich alarmiert umwandte.
„Uns bleiben nur noch zwei Minuten für den Schuss – nicht acht“, erklärte er trocken.
„Wir kommen Sie zu der Schlussfolgerung, Lieutenant?“, fragte Katic.
„Ich habe die Antennen für so was“, brummte der Andorianer. „Und die Augen. Ich hoffe, Commander Harris legt einen Zahn zu! Sonst werden wir bald als marmeladenrohprodukt endern, wenn Sie verstehen, was ich meine!“
Lejla starrte mit besorgter Miene auf den Bildschirm. Andorianer besaßen eine überlegene Sehschärfe und ein noch besseres räumliches Vorstellungsvermögen. Aber war es tatsächlich besser als die Schätzung eines – zugegeben unzuverlässig funktionierenden – Computers?
Marmeladenrohprodukt – der Blaue hatte wirklich eine schrägen Humor!
Das Lüftungsgitter der Klimaanlage flog plötzlich von der Wand und verfehlte den Andorianer nur um knappe zehn Zentimeter. Zwei Beine schoben sich aus dem Lüftungsschacht. Eine junge Vulkanierin, deren linker Arm starke Verbrennungen aufwies, fiel aus dem Schacht und landete unsanft auf dem Boden. Die Frau trug eine gerade noch erkennbare blaue Uniform. Ihre Jacke fehlte, offenbar war ein Teil davon als Verband genutzt worden. der Insignienkommunikator hing schief auf ihrer Brust und an ihrem Kragen baumelten etwas desolat die Rankpins eines Lieutenant Junior Grade.
„Lieutenant T’Plas, alles in Ordnung?“, rief Katic und half ihr auf.
T’Plas gehörte zur Wissenschaftsabteilung und war mit dem stellvertretenden Wissenschaftsoffizier Taval verheiratet.
Dass sie jetzt Witwe war, ahnte Lejla noch nicht.
„Vergeben Sie mir, Commander. Aber ich komme aus dem Wissenschaftslabor drei. Ein Plasmafeuer breitet sich aus und droht auf die Energieleitungen überzugreifen“, berichtete die Vulkanierin mit rauer Stimme. „Wenn wir jetzt nicht handeln, wird in fünf Komma sieben zwei Minuten das ganze Energienetz ausfallen und …“
Weiter kam T’Plas nicht. Die Vulkanierin wurde bleich und sank ohnmächtig zu Boden.
„Falls Harris nicht innerhalb von eins-komma-zwei Minuten die Lage im Maschinenraum in den Griff bekommt, stört uns der Energieausfall auch nicht mehr“, knurrte Taren in Richtung der bewusstlosen Vulkanierin. Dann konzentrierte er sich wieder auf seine eingeschränkt arbeitenden Instrumente, bereit zu handeln, falls Harris Erfolg haben sollte.
Als Lieutenant Ynarea Tohan die Bodenluke zur Brücke aufstieß, hörte sie bereits die aufgeregten Stimmen ihrer Kollegen. Sie konnte die Stimme des andorianischen TAC identifizieren und atmete vor Erleichterung tief durch. Der Andorianer gehörte zu ihren engsten Freunden an Bord der ESTRELLA DEL ALBA und sie hätte es nicht ertragen, ihn zu verlieren.
Anscheinend war etwas Ernstes im Busch. Sie vernahm die Worte, Maschinenraum, Torpedo, Asteroid und konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie schluckte nervös und rechnete schon mit dem Angriff einer unbekannten Macht.
„Haben Sie mitgekriegt, wovon die dort oben reden, P‘Lor?“, fragte sie ihren caitianischen Begleiter.
Caitianer besaßen erwiesenermaßen ein schärferes Gehör als Trill und so hoffte sie auf eine Antwort. Andererseits war sie nicht sicher, ob sie die wirklich hören wollte.
P’Lor wandte sich mit angelegten Ohren und scharfem Blick zu ihr um. „Ein Asteroid droht uns zu rammen, anscheinend versuchen Commander Harris und der Andorianer, diesen manuell abzuschießen.“
„Erzählen Sie mir was Neues“, erwiderte Ynarea schroffer als beabsichtigt.
„Der Brocken ist schneller, als erwartet“, gab der Caitianer trocken zurück.
„Eine gute Nachricht ist heute zu viel verlangt, oder?“, seufzte Yni.
„Am Ende passt wohl alles in Rrhikallas Plan“, meinte der Caitianer lakonisch.
„Und was haben wir von diesem Plan?“, fragte die Trill gereizt.
„Möglicherweise nichts.“
„Danke für die Aufmunterung, P’Lor!“
Der Sarkasmus entging dem Caitianer nicht. Er schob seinen geschmeidigen Körper aus der Luke und sah sich nach Verletzten um.
Ynarea folgte ihm. Ihr Blick erfasste als Erstes eine schwarz verhüllte Gestalt am Boden … und noch eine weitere.
Sie taumelte ein paar Schritte rückwärts.
Ich habe es satt, andauernd über Leichen zu stolpern, ich habe es so was von satt …
Ynareas Kehle schnürte sich noch weiter zu, als ihr bewusst wurde, dass einer der beiden Toten vermutlich der Captain war. Weshalb sonst hatte Commander Katic den Befehl auf der Brücke?
Sie zwang die aufsteigende Panik nieder, räusperte sich und machte somit auf sich aufmerksam. „Lieutenant Tohan, meldet sich zur Stelle und erwartet Befehle …“
Tarens Kopf ruckte herum. Der Andorianer lächelte weil er unbeschreiblich froh war, sie zu sehen. „Yni! Wie eine Bombe einzuschlagen hast du wirklich drauf, das muss dir der Neid lassen!“
„Hab ich dich etwa erschreckt, Blaumann? Und ich dachte, du hättest Nerven, wie Drahtseile“, konterte die Trill.
Seine Antennen bewegten sich schnell zur Seite und wieder nach oben. Etwas leiser raunte er dann: „Schön, dass Dir nichts passiert ist!“
Yni grinste zurück, aber der Blick auf den Bildschirm wischte binnen sekunden das Lächeln von ihrem Gesicht. „Wie lange noch …?“, presste sie heraus.
„Etwa eine Minute“, antwortet Taren finster, bevor er sich wieder seinen Instrumenten zuwandte.
„Kann ich dir mit der manuellen Zielerfassung helfen? Zwei Paar Augen sehen mehr als nur eines“, bot die Trill an.
„Danke, Yni, du könntest …“
Eine weitere Erschütterung unterbrach Taren mitten im Satz und ließ das Schiff nach rechts driften. Tohan verlor kurz den Halt und wurde gegen den Andorianer gedrückt. Taren schaffte es, trotz seiner Anspannung zu lächeln und schob die Frau mit sanftem Griff von sich weg, bevor er wieder zum Monitor blickte.
Der Asteroid wanderte nun schneller über den Bildschirm. Cer´Zydar Taren wurde bei dem Anblick zuerst mulmig – aber mit einem Mal erkannte er, dass sich das Blatt zu seinen Gunsten wendete. Eine leichte Kursänderung des Schiffes – vermutlich ausgelöst durch die Kollision mit dem letzten Asteroiden – sorgte nun dafür, dass sich der große Brocken geradewegs in die berechnete Flugbahn seines Torpedos schob. Rick musste gar nichts mehr dafür tun. Offensichtlich hat sich das Universum doch nicht gegen mich verschworen, dachte Taren und handelte, ohne zu zögern.
Noch bevor Ynarea etwas sagen konnte, hatte der Andorianer seinen Finger auf die Sensortaste zum Abfeuern des Torpedos gedrückt, den er und Rick mühsam ausgerichtet hatten. Im nächsten Augenblick erschien der grellrote Feuerball auf dem Hauptschirm, und Taren verfolgte gebannt, wie der Torpedo auf den riesigen Felsbrocken zu jagte. Gleich darauf traf er den Asteroiden, beinahe genau im Zentrum, und der Felsbrocken zerriss in einer grellen Explosion.
Einige dumpfe Schläge zeigten an, dass mehrere Trümmerstücke die Schiffshülle trafen. Glücklicherweise waren diese zu klein, um ernsthafte Beschädigungen zu verursachen.
Mit einem triumphierenden Leuchten in den Augen blickte Taren zu Ynarea und war für einen kurzen Moment versucht, die Frau an sich zu drücken. Aber der Moment verging, ohne dass er etwas Derartiges tat.
Zweifelsohne verstand er sich gut mit Ynarea, im Laufe der Jahre waren sie Freunde geworden – mehr jedoch nicht.
Ein Zirpen seiner Konsole sorgte dafür, dass seine Gedanken nicht länger um die junge Trill kreisten. Zunächst war er dankbar für die Ablenkung.
Hastig kalibrierte er die Nahbereichsscanner und seine Euphorie schwand.
To be continued …