Episode 01: Böses Erwachen

Böses ErwachenAls ihr Schiff verschrottet werden soll, blickt Captain Lairis Ilana einer ungewissen Zukunft entgegen. Der neue Chef des Sternenflottenkommandos, Admiral Layton, hat keine gute Meinung von der eigenwilligen Bajoranerin, deren Entscheidungen bei der Schlacht um Wolf 359 er bis heute verurteilt.
In der Sternenflotte gehen derweil beunruhigende Veränderungen vor sich.Das seltsame Verhalten von Yasushi Kitamura, Captain des neuen Kriegsschiffs USS DEFENDER, gibt Rätsel auf. Auch um die DEFENDER selbst ranken sich wilde Gerüchte.
Einen Tag später steht die gesamte Föderation unter Schock: Siebenundzwanzig Personen starben bei einem Bombenanschlag auf der Erde! Die Öffentlichkeit ist sich einig, dass das Attentat von Wechselbälgern verübt wurde – doch mit der Zeit häufen sich die offenen Fragen.
Eine geheimnisvolle Sicherheitsbox, auf die Wechselbälger und Sternenflotte gleichermaßen versessen sind, scheint alle Antworten in sich zu bergen.Captain Lairis ist der Lösung schon ganz nahe – da geraten sie und Captain Kitamuras Sohn Raymond in eine heimtückische Falle. Für die Bajoranerin und den jungen Kadetten geht es nun um Leben und Tod …
Gemeinsam mit dem Formwandler Odo arbeitet Lairis’ Chefingenieur, Lieutenant Marc van de Kamp, an einem Plan zur Rettung seines Captains. Dabei kommt ihm ein schrecklicher Verdacht …

Status: fertig

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Prolog: Am Rand der Vernichtung

Die junge Frau in der gelben Starfleet-Uniform kauerte hinter ihrer Deckung – ein bizarres Konglomerat aus eingeschmolzenem Glas und Metall, das einmal die taktische Konsole gewesen war. Ihr langer, kastanienbrauner Zopf hing ihr halb aufgelöst über die Schulter. Fast jeder Muskel ihres Körpers war angespannt und die Menge an Adrenalin, die durch ihre Adern kreiste, war womöglich schon gesundheitsschädlich. Vor ihrem geistigen Auge flimmerten Bilder von monströsen Borg-Kuben und brennenden, explodierenden Sternenflottenschiffen. Und von Captain Jean-Luc Picard, der – halb Mensch, halb Maschine, die eigene Persönlichkeit abgewürgt von Implantaten, Kabeln und Schaltkreisen, ein Gesicht von grauer, cardassianischer Blässe – mit blecherner, monotoner Stimme ständig die Worte „Ich bin Locutus von Borg. Sie werden assimiliert werden. Widerstand ist zwecklos!“ wiederholte.
Als Locutus zum ersten Mal auf dem Hauptbildschirm der U.S.S. PRETORIA erschienen war, hatte die junge Starfleet-Offizierin nicht gewusst, was sie entsetzlicher finden sollte: Die Tatsache, dass die Föderation kurz vor ihrer Vernichtung stand oder das Schicksal Captain Picards, eines Mannes, dem früher nichts wichtiger gewesen war, als seine Crew und die Werte der Föderation zu beschützen. Nun war dieser Mann nichts weiter als eine Marionette der Borg, ein Werkzeug gegen all das, was ihm einst so viel bedeutet hatte. Die junge Frau in der gelben Uniform war ziemlich froh, dass der Monitor nicht mehr funktionierte.
Mit ihren Händen umklammerte sie eine antike bajoranische Waffe: eine handliche kleine Jagdarmbrust, die einst ihrem Vater gehört hatte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht: Papa, der passionierte Bastler … Man hätte ihm eine Drahtspule und einen Schraubenzieher in die Hand drücken können, und er hätte damit vielleicht sogar den Schiffscomputer repa-riert. Auch diese Armbrust hatte er selbst gebaut. Als seine Tochter zur bajoranischen Resistan-ce gegangen war, hatte er ihr die Waffe feierlich überreicht. „Hier, meine Kleine! Damit kannst du den verdammten Cardis die Hinterteile perforieren, falls ihr keine Energie für eure Phaser mehr habt!“ In der Tat hatte ihr die Armbrust im Kampf gegen die Cardassianer gute Dienste geleistet und im Laufe der Jahre gewann sie immer mehr Bedeutung als Talisman.
Als auf dem Schiff der Rote Alarm ertönt war, hatte die junge Bajoranerin ganz instinktiv da-nach gegriffen.
„Commander Lairis …“ eine Männerstimme, seltsam verzerrt und heiser, aber dennoch ver-traut. „Commander … Lairis, he… helfen Sie mir!“
Die Augen des Mannes blickten starr und glasig, als er auf die junge Frau zu wankte. Plötzlich schien sich jede Ader an seinem Hals aufzublähen und grau zu verfärben, so als würde ein Heer anthrazitgrauer Würmer unter seiner Haut entlang kriechen. Die hässlichen, dunkelgrauen Linien wanderten weiter zu seinem Gesicht, um daraus den letzten Rest von Menschlichkeit zu tilgen. Voller Entsetzen wich Lairis vor ihm zurück. Ohne nachzudenken, legte sie die Armbrust weg, zog ihren Phaser und feuerte eine Energiesalve auf ihn ab. Er brach zusammen. Sein Gesichtsausdruck war der eines eingefrorenen Fisches.
Ihr nächster Schuss traf den Borg, der hinter dem Mann gestanden und ihm vor wenigen Sekunden seine Assimilationsröhrchen in den Hals gebohrt hatte.
Lairis spürte, wie sich ihre Eingeweide zusammenzogen, und sie kämpfte gegen den Drang, unkontrolliert zu schluchzen. Natürlich weinte sie der Borgdrohne keine Träne nach – doch der Tote zu ihren Füßen, der Tote mit dem blutleeren, von Nanosonden zerfressenen Gesicht, war einmal Commander Cliff Darrel gewesen, der Erste Offizier der U.S.S. PRETORIA, eines der vielen Sternenflottenschiffe, die sich in der Schlacht bei WOLF 359 den Borg entgegenstellten.
Ich habe Commander Darrel erschossen, ich habe Commander Darrel erschossen …
Sie verspürte Brechreiz, ihre Augen wurden feucht, aber sie musste sich zusammenreißen. Sie hatte keine andere Wahl, denn die Last des Kommandos lag jetzt auf ihren Schultern. Captain Layton wurde seit gut vier Stunden auf der Krankenstation operiert. Die Decke war einge-stürzt und hatte ihn unter sich begraben. Wenn ihn seine inneren Verletzungen nicht umbringen, tun es wahrscheinlich die Borg, dachte Lairis fatalistisch.
Commander Darrels Tod schmerzte sie viel mehr. Weil sie Darrel gemocht hatte: seine Offenheit, sein Lächeln, seinen Humor … das ganze Gegenteil von Layton.
„Ich fasse es nicht – die kommen wohl zur Beerdigung!“ rief in diesem Moment Lieutenant Wagner, der Steuermann, der dicht neben Lairis in Deckung gegangen war. Schweißperlen ran-nen über sein Gesicht und er hielt ein Phasergewehr, dessen Lauf so lang war wie sein Arm. Kurze, abgehackte Atemzüge verwirbelten den Staub in der Luft.
Dann kamen sie. Sechs – nein, sieben – Borgdrohnen materialisierten sich auf der Brücke. Mit schweren, mechanischen Schritten kamen sie näher und näher. Die roten Lämpchen an ihren Okular-Implantaten sandten scharfe Strahlen aus, die sich durch die Dunkelheit schnitten – und durch den Dampf, der aus verschiedenen kaputten Leitungen quoll. Es war ein faszinierender Anblick, der Lairis kalte Schauer über den Rücken jagte.

„Feuer!“ befahl sie schlicht und drei Borgdrohnen fielen unter den Schüssen der Crew. Doch die restlichen vier passten ihre Schutzschilde an. Das Phaserfeuer berührte sie nicht mehr.
„He, ihr wollt uns doch nicht etwa assimilieren, ihr Zombies?!“ Lairis versuchte, witzig und tap-fer zu sein, doch ihre Stimme klang dünn und verloren, fast wie die eines kleinen Mädchens.
Da kam ihr eine Idee … Die Borg mochten zwar gegen Energiewaffen resistent sein – doch was war mit Materie? Sie griff nach ihrer Armbrust, spannte die Sehne – und ein etwa dreißig Zentimeter langer Metallpfeil sauste durch die Luft. Er bohrte sich tief in den Hals eines Borg. Die Drohne gab ein merkwürdiges Röcheln von sich und wirkte für einen Augenblick desorien-tiert. Doch als einer der Brückenoffiziere die Gelegenheit nutzte, um zu feuern, zeigte sich, dass die Schilde des Borg noch immer funktionierten. Lairis zielte erneut – und dieses Mal traf der Pfeil ins Auge. Der Borg fiel um wie eine Statue, der man einen heftigen Tritt versetzt hatte. Dann löste er sich auf. Lairis stieß einen kurzen Jubelschrei aus und Wagner grinste euphorisch. In der Ladevorrichtung von Lairis’ Armbrust befanden sich noch vier Pfeile. Vier Pfeile, drei Borg – Sie musste gut zielen!
Normalerweise war das kein Problem für sie. Sie hatte viel Übung im Umgang mit Waffen aller Art und es gelang ihr bei Gefechten immer, irgendwie die Ruhe zu bewahren.
Doch dieser Kampfeinsatz unterschied sich von allen anderen. Dieser Feind war gefährlicher und furchteinflößender als jeder, dem sie früher gegenübergestanden hatte.
Er verwandelte aufrechte Männer und Frauen in Monster.
Sie versuchte, die Waffe, so gut es ging, ruhig zu halten. Kalter Schweiß ließ ihre Finger glit-schig werden. Der erste Pfeil bohrte sich in die Wange des nächsten Borg, erst der zweite traf das Auge. Die nächsten beiden Schüsse würden auf Anhieb sitzen müssen… Lairis erledigte Drohne Nummer drei, doch Nummer vier schmetterte den letzten Pfeil mit ihrem Arm ab.
Lairis kämpfte erfolglos gegen das Zittern ihrer Hände. Der Borg war jetzt weniger als zwei Meter von ihr entfernt. Die Phaserschüsse, die die anderen Crewmitglieder auf ihn abfeuerten, waren lediglich ein Ausdruck der Verzweiflung, denn sie verfehlten ihre Wirkung völlig. Lairis saß in der Falle. Die Wege rechts und links waren durch Trümmer verbaut. Schritt für Schritt wich sie vor dem unheimlichen Wesen zurück, bis sie im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken an der Wand stand.
Sie war machtlos gegen ihre Fantasie … stellte sich vor, wie aus dem metallenen Exoskelett an der Hand des Borg gleich zwei Assimilationsröhrchen fahren und sich in ihren Hals bohren würden. Wie Nanosonden sich durch ihre Blutgefäße fraßen, Borg-Implantate in ihr wuchsen und sich den Weg durch ihr Fleisch bahnten … Wie ihre Individualität, ihre Persönlichkeit, ihr gesamtes Wesen vom Kollektiv gefressen wurde …
„Wagner, verdammt, tun Sie endlich was!“ schrie sie.
Der junge Lieutenant hatte bisher wie versteinert daneben gestanden. Nun löste er sich aus seine Erstarrung und packte sein Phasergewehr – jedoch nicht, um damit zu schießen …
Er ließ es mit voller Wucht auf den Schädel des Borg niedersausen.
Die Drohne drehte orientierungslos den Kopf hin und her. Ihr Maschinenarm zuckte unkontrolliert. Diese Gelegenheit nutzte Lairis, um die Kabel und Schläuche, die dem Borg aus dem Hals ragten, die das Lebewesen mit der Maschine verbanden, zu packen und herauszureißen. Die Drohne löste sich augenblicklich auf.
Mit einem Seufzen der Erleichterung sank Lairis gegen die Wand.
Der Kommunikationsoffizier vergewisserte sich, dass keine weiteren Drohnen an Bord waren.
„Befehle, Commander?“ fragte eine müde Stimme. Sie gehörte dem Waffenoffizier, einem Bolianer, dessen blaue Glatze vor Schweiß glänzte. Neben ihm stand Fähnrich Beldan, eine junge Betazoidin mit großen, angsterfüllten Augen.
Lairis strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, was einen breiten Streifen von Dreck auf ihrem fast klassisch schönen Gesicht hinterließ. „Bringen wir uns in Sicherheit, solange wir noch können.“ Sie kam sich feige und schäbig vor, als sie das sagte, doch sie wußte, dass die PRETORIA keinen weiteren Kampf überstehen konnte. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf diesem Schiff würde getötet oder assimiliert werden! Ihre zehnjährige Tochter Julianna war an Bord, musste zusammen mit den anderen Zivilisten in einem „sicheren“ Bereich ausharren … Hoffentlich ist sie vor Angst nicht schon verrückt geworden, dachte Lairis besorgt.
Der Bolianer räusperte sich. „Bei allem Respekt, aber … Die Flotte im Stich lassen?“
„Ihr Kampfgeist in allen Ehren, aber wir haben keine Waffen und keinen Warpkern mehr. Selbst wenn wir Kamikaze fliegen, gibt das nicht mal eine Delle im Kubus. Wir können den Borg keinen Schaden mehr zufügen – im Gegenteil: Wenn wir hier bleiben, liefern wir ihnen zweihundert Drohnen auf dem silbernen Tablett. Also nichts wie weg hier!“
Für Julianna! fügte sie in Gedanken hinzu. Für jedes lebende Individuum auf diesem Schiff.
Den Rest der Schlacht verbrachte die PRETORIA angekuschelt an kahlen Felsboden im Krater eines Mondes. Wagner hatte wahre Glanzleistungen der Flugkunst vollbracht, um dorthin zu gelangen, Phaserblitzen und Photonentorpedos auszuweichen und dabei die Aufmerksamkeit der Borg nicht zu erregen.
Layton hätte es verstanden, wenn er dabei gewesen wäre … Doch er hatte die weniger glor-reiche Hälfte der Schlacht auf der Krankenstation verschlafen. Es war ein gehässiger Gedanke, der sich Lairis immer wieder aufdrängte, wenn sie ihren Captain auf seinen Krücken durchs Schiff humpeln sah. Sie verstand genug von der Sternenflottenmedizin, um zu wissen, dass der Knochenregenerator ganze Arbeit geleistet hatte und die Verletzungen nach drei Wochen längst ausgeheilt sein mussten … aber Layton liebte diese martialische Kriegsveteranenpose viel zu sehr. Er wäre so gern ein Held geworden – jetzt war er nur ein Überlebender.
„Zum Teufel, Ihre Pflicht war es, die Stellung zu halten und die Föderation zu verteidigen – nicht, Katz und Maus mit den Borg zu spielen!“ schrie er seinen taktischen Offizier an.
„Wir sind doch nicht desertiert! Wir haben gekämpft, so gut wir konnten!“ verteidigte sich Lairis. „Wenn wir mit der PRETORIA noch irgendeine winzige Chance gehabt hätten, den Feind …“
„Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sie hätten keine Chance gehabt! Das Schiff war immerhin flugfähig und nicht etwa kurz vorm explodieren!“
„Bei allem Respekt, aber mit aussichtslosem Heldenmut wäre ich beim bajoranischen Untergrund nicht sehr weit gekommen!“
„Sie sind jedoch nicht mehr im bajoranischen Busch, sondern in der Sternenflotte. Also gewöhnen Sie sich besser an die Befehlshierarchie!“
„Fast alle Leute, die in dieser Befehlshierarchie über Ihnen stehen, sind auf meiner Seite“, erwiderte sie nüchtern. „Es gab keinen Befehl, um jeden Preis die Stellung zu halten – also können Sie mich auch nicht vors Kriegsgericht bringen, weil ich die Crew gerettet habe!“
„Ich weiß, Sie wurden für Ihr feiges Fluchtmanöver sogar befördert. Weil die PRETORIA dank Ihnen noch in einem Stück ist. Trotzdem will ich Sie nicht als Ersten Offizier. Hier ist Ihre Ver-setzungsurkunde – melden Sie sich übermorgen auf der U.S.S. CASABLANCA.“
„Verstanden, Sir.“ Lairis nahm das Datenpad entgegen. Zur Überraschung ihres Captains lächelte sie. „Kann ich offen sprechen?“
„Nur zu, Commander!“
„Sie sind lebendig, Sie sind gesund und Sie schleppen keinen Borgpanzer mit sich herum. Betrachten Sie es als Geschenk, Sir! Oder stört es Sie, dass jemand anderes als Sie die Lorbeeren einheimst?“ War ihm seine Profilneurose wichtiger als sein Leben?
„Das reicht. Wegtreten, Commander Ich will Sie nie wieder sehen.“
Lairis ahnte tief im Inneren, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde.

Sieben Jahre später…

1. Kapitel: Eine Warnung an Quark

„Quark, Sie widerliches kleines Henkelohrenmonster!“
Der Ferengi – Besitzer der meistbesuchten Bar auf der Raumstation DEEP SPACE NINE – verzog das Gesicht. Auch wenn die meisten Gäste diese hässlichen Worte nicht gehört hatten – woran ohne Zweifel der hohe Geräuschpegel in diesem Etablissement Schuld war – so fuhren sie doch Quark schmerzhaft in die Ohren.
Es war eine weibliche Stimme, bajoranisch – und verdammt wütend. Quark wollte gerade mit seinem obligatorischen „Hallo Major Kira! Was kann ich für Sie tun?“ antworten, doch diese Frau war nicht Major Kira. Quark fuhr herum. Die Bajoranerin war eine äußerst attraktive Erscheinung, trotz der zackigen rötlichen Narbe an ihrer linken Schläfe. Ihr schlanker, wohlproportionierter Körper steckte in einer maßgeschneiderten Starfleet-Uniform, ihr langes kastanienbraunes Haar war im Nacken zu einem lockeren Knoten geschlungen und ihre ausdrucksvollen Augen – braun mit grasgrünen Flammen rund um die Pupille – funkelten ihn herausfordern an.
Vor allem aber kam sie dem Ferengi auf merkwürdige Weise bekannt vor…
„Ilana!“ rief er, als er es endlich geschafft hatte, sie einzuordnen.
„Für Sie Captain Lairis“, erwiderte die Bajoranerin kühl.
„Captain? Oh, Sie haben es weit gebracht!“
Lairis Ilana antwortete nicht, sondern knallte ihm wortlos einen Datenblock auf die Theke. Das Bild zeigte eine sehr spärlich bekleidete junge Frau, die sich aufreizend auf einem Dabo-Tisch räkelte. Quark riss vor Überraschung die Augen auf – große blaue Kullern, die von violetten Schatten umrahmt waren. Doch er fasste sich relativ schnell wieder. Ganz offensichtlich angetan von dem, was er sah, fuhr er lüstern sich mit der Zungenspitze über die Lippen.
„Hinreißend, nicht wahr!“
Lairis starrte ihn noch immer wütend an.
„Naja, Sie müssen verstehen, Captain, das Bild ist immerhin zwanzig Jahre alt und…“
„Man kann mich aber immer noch erkennen“, entgegnete sie hitzig.
„Das stimmt, Sie haben sich kein bisschen verändert in diesen zwanzig harten Jahren! So wunderschön wie eh und je…“
„Hören Sie auf mit dieser elenden Schleimerei, Quark!“ fuhr die Bajoranerin ihn an.
Mein Schiff wird verschrottet und mein guter Ruf gleich dazu … Prima, dank dieses sabbernden kleinen Latinum-Fetischisten wusste jetzt also der halbe Alpha-Quadrant, womit Captain Lairis Ilana ihr Geld verdient hatte, bevor sie zur Sternenflotte gegangen war. Nicht, dass sie sich sonderlich dafür geschämt hätte … Der Job als Dabo-Mädchen hatte nicht gerade ihre gesellschaftliche Stellung gehoben, aber ihre Familie vor dem Verhungern bewahrt.
Lairis wollte lediglich verhindern, dass jemand aus ihrer Crew das lebensgroße Holoplakat neben dem Eingang sah. Das wäre ihr doch verdammt peinlich gewesen! „Wissen Sie, Quark, ich würde jetzt liebend gern Chief O’Briens Dartpfeile nehmen und damit ihre hässlichen Ohren an die Wand nageln – aber das wäre wohl Körperverletzung und schlecht für meine Karriere, also…“
„Richtig, das ist diese Kröte wirklich nicht wert!“ ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen.
Lairis drehte sich um. In ihrem Ärger über Quark hatte sie fast vergessen, weshalb sie diese Bar eigentlich aufgesucht hatte: um ihre alte Freundin Kira Nerys wiederzusehen.
Kira lächelte warm und die beiden Frauen umarmten sich.
„Schön, dass du kommen konntest, Nerys!“
„Ich bin froh, dich zu sehen, Ilana!“
Sie gingen zu dem Tisch, den Major Kira reserviert hatte.
„Ich kann mir schon denken, weshalb du Quark in die Zange genommen hast“, sagte Kira.
„Es ist ja auch kaum zu übersehen“, entgegnete Lairis trocken.
„Was darf ich den Damen bringen?“ fragte Quark übertrieben freundlich.
„Zwei mal bajoranischen Frühlingswein bitte!“ bestellte Kira. „Ach ja, und entfernen Sie Ilanas Bild aus Ihrer Schmuddelecke!“
Quark verdrehte die Augen. „Ja ja, natürlich! Ich werde mich so bald es geht, darum kümmern – aber im Moment warten sehr viele ungeduldige Kunden auf mich!“
„Quark, erinnern Sie sich noch an meine Kollegin Linatrel?“ fragte Lairis Ilana zuckersüß.
Der Ferengi fauchte verächtlich. „Wie könnte ich dieses Höllenweib vergessen! Packt mich an den Ohren und schleift mich über das halbe Promenadendeck! Dabei wollte ich doch nur ein bisschen Umox…“
Lairis und Kira lachten lauthals.
„Wie ich sehe, haben Sie nicht viel daraus gelernt, Quark“, meinte Kira.
„Doch, er hat nie wieder eine Cardassianerin als Dabo-Mädchen eingestellt“, konterte Lairis, während Quark sich ärgerlich davon trollte.
„Was macht die Wühlmaus-Plage?“ fragte sie dann, an Kira gewandt.
„Chief O’Brien arbeitet daran“, erwiderte der Major und lächelte.
„Ach, ich dachte, er wäre Ingenieur und kein Kammerjäger!“
„Der Chief ist ein Mann mit vielen Talenten!“
Captain Lairis lachte leise.
„Ich muss schon sagen, da hast du uns ganz schön was eingebrockt, Ilana!“
„Naja, wenn ich geahnt hätte, dass diese Station eines Tages an die Föderation fällt, hätte ich mir vielleicht was anderes einfallen lassen“, entgegnete Lairis und lächelte schuldbewusst.
Das so genannte „Wühlmaus-Inferno“ gehörte zu den wenigen lustigen Geschichten, die es über die cardassianische Besetzung zu erzählen gab. Als Neuling im bajoranischen Widerstand hatte Lairis Ilana einmal die Getreidevorräte auf TEROK NOR mit Hormonen präpariert, die die Wühlmäuse dazu brachten, sich pro Jahr drei bis vier mal häufiger als üblich zu paaren. War die vorhandene Population schon vorher ein Ärgernis gewesen, wurden die Mäuse nun zum echten Problem. Natürlich vor allem für die Cardassianer.
„Schade, dass Professor Merak inzwischen gestorben ist“, sagte Lairis zu Kira. „Ich bin nie dazu gekommen ihr ein Dankschreiben zu schicken.“
„Wer ist Professor Merak?“
„Eine cardassianische Wissenschaftlerin, die sich auf vergleichende Säugetier-Physiologie spezialisiert hat.“ Sie zitierte aus einem imaginären Brief: „Sehr geehrte Frau Professor Merak, obwohl ich Ihre Vorlesungen nie persönlich besucht, sondern lediglich aus dem Datennetz gesaugt habe, haben sie mir sehr viel gegeben. Besonders Ihr Vortrag über die Biologie cardassianischer Wühlmäuse war nicht nur interessant und informativ, sondern auch äußerst praxisrelevant! Mit freundlichen Grüßen – Captain Lairis Ilana, ehemalige Anführerin der Widerstandszelle Gabor…“ Lairis liebte es, Kira zum lachen zu bringen. Deshalb war sie auch ziemlich enttäuscht, als ihre Freundin das Thema wechselte und dabei – ohne es zu wollen – einen wunden Punkt bei ihr berührte…
„Ich habe gehört, dass dein Schiff verschrottet werden soll“, begann Kira, als sie endlich aufhören konnte, zu lachen. „Das tut mir leid!“
Lairis verzog das Gesicht. „Mir auch. Die CASABLANCA ist über achtzig Jahre alt und dauernd geht irgendwas an ihr kaputt. Wir alle haben sie schon mal einen ‘alten Schrotthaufen’ genannt – aber trotzdem … wenn ich wenigstens wüsste, was jetzt aus uns wird …“
Kiras blick war völlig verständnislos. „Wieso sollte die Sternenflotte keinen Platz für dich und deine Crew finden?“
„Für meine Crew? Vielleicht. Aber seit Layton Chef des Sternenflottenkommandos ist, stehe ich auf der Hitliste beliebter Captains nicht gerade oben.“
„Standest du dort jemals?“ fragte Kira unverblümt.
„Wohl kaum“, erwiderte sie mit einem halben Lächeln. „Ich war nie etwas Besonderes, guter Durchschnitt auf der Akademie … das hat mir gereicht. Julianna war mir wichtiger als irgendwelche Zahlen auf meinem Zeugnis.“
„Ich habe zwar keine Ahnung von Zeugnissen oder den Anforderungen auf der Sternenflottenakademie – aber wenn du behauptest, du wärst nichts Besonderes, hast du keine Ahnung von dir selbst, Ilana!“
„Mag sein.“ Sie lächelte nicht mehr, sondern sah Kira mit merkwürdig verhangenen Augen an.
„Trotzdem verstehe ich nicht, weshalb du etwas dagegen hast, dass Juliannas Vater dir beisteht“, sinnierte der Major.
„Julianna bei Fred lassen? Damit er sie mit all seiner flauschigen, rosaroten Zuckerwatte voll stopft? Dass Kinder keinen Zwang vertragen, wahre Freiheit nur im Nacktsein liegt und so ein Unsinn? Ich wäre völlig verzweifelt bei dem Versuch, sie auf ein ganz normales Leben vorzubereiten … ein Leben voller Kleidung, Pflichten und anderer schrecklicher Zwänge.“
„Aber er hätte wenigstens erfahren sollen …“
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. „Als ich Fred kennenlernte, war ich gerade zwanzig, im zweiten Jahr auf der Akademie … es passierte auf einem Klassenausflug nach Risa. Frederik, ganz in Schwarz gekleidet, protestierte gegen die Zerstörung der risianischen Ökosysteme durch den Massentourismus …“
„Er hat auf die wahre Freiheit des Nacktseins verzichtet?“
Lairis konnte nicht anders, als unbeherrscht zu lachen. „Ich schätze mal, es war ihm zu kalt an diesem Tag. Dank seiner neo-alternativen Kumpane, die gerade das Wetterkontrollsystem lahm gelegt hatten. Als es wieder in Betrieb war, befreite er sich als erstes von seinem Klamotten – und zwar vor den Augen einiger sehr prüde wirkender Abraxaner. Ich war hin und weg.“
„Sah er so gut aus?“
„Eigentlich war er ein bisschen zu dürr für meinen Geschmack. Aber ich habe noch nie jemanden kennen gelernt, der mit so viel Begeisterung gegen den Strom geschwommen ist. Klar, auf Bajor kämpften wir auch leidenschaftlich für eine gerechte Sache – aber die Cardis hatten uns so sehr in die Enge getrieben, dass uns nichts anderes übrig blieb. Frederik dagegen lebt in der Föderation, wo niemand hungern muss oder mitsamt seinem Haus in die Luft gesprengt wird. Er hätte eigentlich zufrieden in der Sonne liegen können und warten, bis die gebratenen Paradiesvögel in seinen Mund fliegen … Aber das war nicht sein Charakter. Für mich war er ein Mann, der anderen die Augen geöffnet hat – für Probleme, die niemand wahrhaben wollte … für die Schattenseiten seiner scheinbar perfekten Welt.“
„Deshalb hast du dich in ihn verliebt.“
Lairis nickte. „Das Problem war, dass Frederik nur spielen und nicht wirklich kämpfen wollte. Er umgab sich mit diesem düsteren Image, weil es ihm Spaß machte, sich von der Masse abzuheben. Tritt den Leuten auf die Zehen, dann beachten sie dich wenigstens … Das war sein heimliches Lebensmotto. Aber wenn er geahnt hätte, was wir manchmal tun mussten, um unsere Welt von den Cardis zu befreien … Er hätte es nie verstanden und ich konnte ihn nicht mehr verstehen. Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, hatten wir uns schon getrennt. Trotzdem hab ich lange überlegt, ob ich es ihm sage … aber dann dachte ich, es wäre besser, ihn in seiner Unbekümmertheit zu lassen. Er wäre gern Familienvater gewesen und wahrscheinlich hätte er sogar das Sorgerecht gekriegt. Ich bin ja in der Sternenflotte und deshalb schon per Definition eine schlechte Mutter …“
„Du hattest also Angst, dein Kind zu verlieren“, begriff Kira.
„Ja“, erwiderte Lairis schlicht.
In diesem Augenblick meldete sich ihr Kommunikator. „Captain, eine gewisse Lieutenant Commander T’Liza bittet, an Bord kommen zu dürfen“, ertönte die Stimme ihres Ersten Offiziers, Commander Jerad Silgon. „Sie will das Schiff besichtigen.“
„Warum nicht? Immer rein in die gute Stube! Die Gelegenheit ergibt sich nie wieder.“
„Wie du meinst, Captain!“ Seine Stimme klang leicht amüsiert, und obwohl kein visueller Kontakt bestand, konnte Lairis sein schelmisches Lächeln vor sich sehen.

2. Kapitel: Adieu, Casablanca!

Eine Eigenart älterer Schiffe war, dass man dem Computer vieles nicht verbal befehlen konnte, sondern dafür irgendwelche Knöpfe drücken musste. Wie zum Beispiel, um einen Turbolift zu rufen … Captain Lairis Ilana strich gedankenverloren, ja beinahe zärtlich über das Armaturenbrett, das aussah, als stammte es direkt aus dem Raumfahrtmuseum. Als der Turbolift endlich kam und die Tür zur Seite glitt, stand Lairis plötzlich einer fremden Frau in blauer Starfleet-Uniform gegenüber. Ein Ausdruck des Wiedererkennens, des Schmerzes und des ungläubigen Erstaunens lag in den großen grauen Augen der Unbekannten.
„Corazón“, flüsterte sie kaum hörbar.
„Corazón?“ wiederholte Lairis verständnislos. War das vielleicht irgendein Gott? Sie vergaß glatt, dass sie eigentlich in den Lift steigen wollte.
Im nächsten Moment gab sich die Frau wieder so förmlich, wie es sich für einen Offizier der Sternenflotte einem ranghöheren Offizier gegenüber ziemte. „Bitte entschuldigen Sie mein unangemessenes Verhalten, Captain! Sie haben mich … an eine alte Freundin erinnert.“
„Es muss eine ungewöhnlich gute Freundin gewesen sein“, erwiderte Lairis nachdenklich, ohne ihren Blick vom Gesicht der Fremden abzuwenden. „Lieutenant Commander T’Liza?“
„Das ist richtig, Captain Lairis Ilana.“
„Dann brauche ich mich wohl nicht mehr vorzustellen.“ T’Liza – der Name klang vulkanisch, und Lairis begriff nun, weshalb sie ihn nicht sofort mit der Fremden im Turbolift in Verbindung gebracht hatte. Die Frau trug ihr Haar länger als jeder andere Vulkanier, den sie kannte. Es war schwarz, dicht und glänzend und reichte ihr bis über die Schultern. Damit verdeckte es natürlich ihre Ohren. Doch der blaßgrüne Schimmer auf ihren Wangen und die spitz nach oben zulaufenden Augenbrauen gaben ebenfalls Hinweis auf ihre Rasse.
„Es lag am Licht und an Ihrem Nehau, dass ich sie für jemand anderen hielt, Captain.“
„Ich hoffe, ich enttäusche Sie nicht, wenn Sie mich in normalem Licht betrachten?“ Es war wohl die merkwürdigste Frage, die Lairis je gestellt hatte. Aber T´Liza war auch mit Abstand die merkwürdigste Vulkanierin, die ihr je begegnet war.
„Captain, Sie haben mit Sicherheit schon unzählige Leute überrascht, verärgert, gerettet, geliebt, befreit, verunsichert, inspiriert und gequält. Aber noch nie jemanden enttäuscht. Bis auf Admiral Layton.“
„Sie kennen Layton? Jetzt überraschen Sie mich!“
„Ich bin seine Counselor.“
„Er ist sicher ein schwieriger Patient.“
„Ein beunruhigender! Ich wünsche Ihnen ein langes Leben und Frieden.“
„Langes Leben und Erfolg“, grüßte Lairis zurück.
Noch etwas benommen betrat sie den Turbolift und betete zu den Propheten, dass er nicht wieder auf halbem Wege ausfallen möge, wie er es in letzter Zeit so oft getan hatte. Doch der Lift brachte sie ohne Zwischenfälle zur Brücke, so als wollte das Schiff ein letztes Mal beweisen, dass es der Sternenflotte noch immer gute Dienste leisten konnte.
„Na, hast du schon die Daten für den Totengräber zusammengestellt?“ begrüßte Lairis ihren Ersten Offizier mit dem Anflug eines wehmütigen Lächelns.
„Klar.“ Jerad, ein großer, kräftiger Trill mit scharf geschnittenen Zügen, tiefen Grübchen und leicht ergrauten Haare, aktivierte sein Datenpad. „U.S.S. CASABLANCA, NCC-2518-A, Excelsior-Klasse, in den Dienst gestellt: 2292 oder auch Sternzeit 9342.1, 470 Mann Besatzung.“
„Corazón Inserra“, murmelte Lairis plötzlich.
„Wie bitte?“
„Der erste Captain der CASABLANCA … Es war eine Frau und ihr Name war Corazón Inserra.“
„Natürlich. Nur eine Frau kann ein Raumschiff CASABLANCA nennen“, lästerte Jerad.
„Ach, das wusstest du nicht?“
„Ja, ja Schande über mich!“ Jerad grinste immer noch. „Die Geschichte eines Raumschiffs, das schon seinen Cluster auf dem Schrottplatz reserviert hat … nein, das ist mir einfach zu deprimierend, so etwas überlasse ich meinem Captain.“
„Vielen Dank auch!“
„Was meinst du: Wollen wir uns einen Logbucheintrag dieser Captain Insarra ansehen?“
„Bist du sicher, dass du davon nicht depressiv wirst?“
„Ich werde es überleben. Jetzt bin ich neugierig.“
Viele Crewmitglieder verkniffen sich nur mühsam ein Kichern.
„Fähnrich Wheeler?“
Die blonde junge Frau hinterm Steuer wandte sich um. „Ja, Captain?“
„Was meinen Sie: Schafft es der alte Dampfer noch bis zur Erde?“
„Warum nicht? Solange wir nicht schneller als Warp 5 fliegen …“
„Sind wir überhaupt jemals schneller geflogen, Fähnrich?“
„Nicht in meiner Schicht, Captain.“ Wheeler lächelte.
„Also dann … Energie! Ich möchte die High-School-Abschlussfeier meiner Tochter nicht verpassen.“
Doch kaum hatte Fähnrich Wheeler den Warpantrieb aktiviert, fing ihre Konsole unsäglich an zu brummen. „Hilfe, das hört sich ja an, wie das Antigrav-Moped von meinem Ex!“
„So lange es fliegt …“ erwiderte der Captain fatalistisch.
Jerad folgte ihr in den Bereitschaftsraum.
Sie schaltete den Terminal ein und begann, Dateien aus dem Archiv herunter zu laden. Das 3D-Foto einer Frau in einer roten Starfleet-Uniform aus dem späten 23. Jahrhundert zog sie sofort in seinen Bann. Die Frau war eine Humanoide und etwa vierzig Jahre alt. Ihre Haare waren rötlicher als die von Lairis, die Augen grüner und natürlich hatte Captain Inserra auch keine bajoranischen Riffeln auf dem Nasenrücken. Dennoch …
„Sie sieht dir wirklich sehr ähnlich“, stellte auch Commander Silgon fest.
„Was T´Liza wohl meinte, als sie sagte, mein Nehau würde sie an Corazón erinnern?“
„Nehau …“ Jerad überlegte. „Ich glaube, damit bezeichnen Vulkanier die Ausstrahlung eines anderen, die Aura oder wie immer man das nennen mag.“
„Hmm … welchen Eintrag soll ich abspielen?“
„Egal. Meinetwegen den Allerersten.“ Jerad legte seine Hände auf ihre Schultern und streifte ihren Nacken mit einem flüchtigen Kuss.
„Persönliches Computerlogbuch, Captain Inserra, Sternzeit 9346.2…“ ertönte Corazóns dunkle, rauchige Stimme. „Es war gar nicht einfach, dem Sternenflottenkommando zu erklären, weshalb ich die CASABLANCA zu Bruch fliegen musste. Mir hat es ja auch in der Seele wehgetan. Sie war ein gutes Schiff, und ich werde sie vermissen. Aber die verdammten Klingonen waren dabei, das Chanara-System zu erobern. Die einzige Chance, sie zu besiegen, war, ihr Flaggschiff zu zerstören. Aber zerstör’ erst mal einen Kreuzer der Vor’Cha-Klasse! Mit Phasern und Torpedos lässt sich da nicht viel machen… Also hab’ ich die Crew evakuiert und direkten Kurs auf dieses Monstrum genommen. Ich kam mir vor wie einer dieser lebensmüden japanischen Kamikaze-Piloten! Zu sterben hatte ich allerdings nicht vor. Wenige Sekunden, bevor die CASABLANCA in die äußeren Plasmaverteiler des Klingonen-Kreuzers gekracht ist, hat mich Kerala von Bord gebeamt. Himmel, war das knapp!
Dann saß ich mit meiner Crew auf diesem grässlichen Klasse-L-Planeten fest… Da war es sogar noch heißer und staubiger als auf Vulkan! Ich hätte nie gedacht, dass das möglich ist… Zum Glück wurden wir bald von der LANZELOT hochgebeamt. Den Kampf hatten unsere Leute inzwischen gewonnen. Durch den Crash mit der CASABLANCA war das Flaggschiff explodiert und hatte vier ‘Birds of Prey’ mitgerissen. Ich will mich ja nicht selber loben, aber ich glaube, das war es, was die Schlacht zugunsten der Sternenflotte entschieden hat.
Und dann verstehe einer diese Admiräle… Erst hängen sie mir eine Tapferkeitsmedaille um den Hals und dann schmeißen sie mir Verschwendung von Ressourcen vor! Und natürlich Verstoß gegen das Starfleet-Protokoll für die Kriegführung in bewohnten Sternensystemen. Verdammt, die sollten erst mal gegen diese blutrünstigen, klingonischen Wikinger kämpfen – dann wüssten sie, was ihr dusseliges Protokoll wert ist!
Aber, was beschwere ich mich überhaupt … Schließlich hab’ ich heute das Kommando über dieses Prachtstück erhalten! Excelsior-Klasse – der letzte Schrei! Angeblich hat sie sogar Transwarp-Antrieb, aber als ich ihn ausprobieren wollte, ist mir gleich der Warpkern abgesoffen! Soviel zum Fortschritt…
Natürlich trägt auch dieses Schiff den wundervollen Namen CASABLANCA. Die meisten denken, ich hätte es nach einer Stadt auf der Erde benannt, aber das stimmt nicht ganz… ‘Casablanca’ ist der Titel eines Filmklassikers aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Es ist mir ein wenig peinlich, das zuzugeben, aber ich habe eine Schwäche für alte Liebesfilme…“
Jerad pfiff durch die Zähne. „Interessante Frau! Es würde ihr gar nicht gefallen, dass ihr geliebtes Schiff einfach in seine Einzelteile zerlegt wird, wie ein alter Küchenmixer.“
Lairis nickte betrübt. „Nach Wolf 359 haben wir die CASABLANCA nie wieder richtig flott gekriegt. Unter meinem Kommando hatte sie das Gnadenbrot, die wirklich aufregenden Missionen haben wir natürlich nicht bekommen.“
„Tausendmal aufregender als das, was ich früher machen musste.“ Jerad verzog das Gesicht. „Die sagenhafte Relaisstation R-27, ein wahres Eldorado der Langeweile. Nicht mal der Maquis hat sich in unsere Gegend verirrt. Dabei wäre ein kleines Gefecht genau das gewesen, was meine Crew gebraucht hätte, um wieder ein bisschen lebendiger zu werden … Aber wer interessiert sich schon für eine Raumstation mit fünf Mann Besatzung in einem besonders dünn besiedelten Teil der Entmilitarisierten Zone. Ich bin dir wirklich dankbar, dass du mich dort rausgeholt hast! Noch zwei Jahre in dieser Blechbüchse und du hättest mich zu meinen tierischen Vorfahren ins Primatengehege stecken können!“
Sie lachte, doch seine Augen wurden plötzlich schmal. „Ich hoffe, du hast mich nicht nur zu deinem Ersten Offizier gemacht, weil du dir die Schuld für meinen Karriereknick gibst!“
„Natürlich fühle ich mich mitverantwortlich für das, was damals passiert ist“, erwiderte Lairis ernst. „Aber ich würde dich ganz bestimmt nicht zu meinem Ersten Offizier ernennen, nur um irgendwelche Fehler von damals wieder gut zu machen! Jedenfalls nicht, wenn ich auch nur den geringsten Zweifel an deinen Fähigkeiten hätte! Du weißt, ich halte sehr viel von dir – persönlich wie beruflich – und denke, dass die Sternenflotte mehr als dämlich war, deine Talente als Knöpfchendrücker auf einer Relaisstation zu verschwenden!“
Jerad beugte sich zu ihr herab, legte seine Arme um ihre Taille und küsste sie. „Du siehst, ich lerne noch nicht einmal aus meinen Fehlern.“
„Dann brauchst du wohl einen Symbioten, der dir dabei hilft …“
„Das wird nichts mehr.“ Sein Lächeln verschwand. „Die Symbiosekomission war ganz offensichtlich der Meinung, dass ich ihren Ansprüchen nicht genüge. Ein Kerl, der seine Hormone nicht mal so weit unter Kontrolle hat, dass er die Finger von seinen Kadetten lässt, verdient halt kein so edles Geschöpf wie einen Symbionten. Punkt. Aus.“
„Es ist nicht fair, dass du den ganzen Ärger bekommen hast, und ich …“
„Bei Unzucht mit Abhängigen wird nie der Abhängige bestraft.“
„Unzucht? So weit ist es doch gar nicht gekommen!“
„Aber nur, weil uns deine tratschsüchtige Zimmergenossin vorher aus den Gänseblümchen gescheucht hat.“ Er lächelte schief. „Bereust du es denn?“
„Ich bereue nur, dass wir uns erwischen ließen!“
„Du bist doch ein heimtückisches, verdorbenes Luder, Lairis Ilana!“ scherzte er zwischen zwei Küssen. „Und so was in der Sternenflotte – pfui!“
„Was willst du machen? Ich stamme eben aus dem bajoranischen Busch – ich bin hoffnungslos unzivilisiert.“

3. Kapitel: Düstere Vorboten

Über San Francisco erstreckte sich ein wolkenloser, azurblauer Himmel, doch in Kadett Raymond Kitamuras Kopf war eine dicke Nebelsuppe. Während er sich ins Badezimmer schleppte, gähnte er fast ununterbrochen.
„Welcher Hornochse ist eigentlich auf die Idee gekommen, früh um acht Quantenmechanik-Vorlesungen abzuhalten!“ beschwerte er sich, obwohl ihn niemand hörte.
Er war viel zu spät ins Bett gegangen, doch es war nicht nur der Schlafmangel, der ihm so zu schaffen machte … Nein, was ihn ins Reich der Scheintoten versetzt hatte, waren die vier oder fünf Gläser Sake, zu denen ihn sein Vater überredet hatte. Ausgerechnet Captain Yasushi Kitamura, der Musteroffizier, das Fleisch gewordene Pflichtbewusstsein, betrank sich einen Tag vor einer wichtigen Konferenz! Das ging nicht mit rechten Dingen zu …
Aber dann hatten sie irische Seemannslieder gesungen, die Raymond von seiner Mutter kannte … sie hatten über alte Zeiten geredet, über Raymonds Zukunftspläne, über Frauen … und sie hatten gelacht, gelacht, gelacht. So viel Spaß hatte Raymond mit seinem Vater noch nie gehabt und er lächelte trotz seines schmerzenden Schädels, wenn er an den letzten Abend zurückdachte. Dennoch blieb ein schales Gefühl hängen, eine diffuse Angst.
Raymond schwankte die Treppe hinunter und klopfte an die Tür von Captain Yasushi Kitamuras Arbeitszimmer. Das Wochenende war vorbei und nun galt es wieder, in Kadettenbaracken zu schlafen. Es hatte ihm noch nie soviel daran gelegen, „Auf Wiedersehen“ zu sagen.
Hoffentlich war sein Vater nicht schon fort, auf dem Weg nach Antwerpen, wo heute ein Treffen zwischen hochrangigen Vertretern der Föderationsregierung und der Romulaner stattfinden sollte, eine Verhandlung über den Einsatz von Tarnvorrichtungen im Alphaquadranten … Warum, fragte sich Raymond plötzlich, nahm ausgerechnet Captain Kitamura an dieser Konferenz teil, obwohl er kein Admiral, kein Diplomat und kein Regierungsbeamter war? Es musste an diesem neuen Schiff liegen, das im Trockendock von UTOPIA PLANITIA auf ihn wartete. Die U.S.S. DEFENDER … ein Name, der besser zu einem altertümlichen Navy-U-Boot als zu einem Föderationsschiff passte, ein Name, der Raymond sofort an Krieg und Raumschlachten denken ließ, an ganze Planeten, die binnen Sekunden in die Luft gesprengt wurden … Manchmal hatte der Junge Gesprächsfetzen aufgeschnappt, die zwischen seinem Vater und anderen Offizieren hin und her flatterten: Multivektor-Angriffsmodus, Telleron-Geschütze, Quantentorpedos, neue Kampfflotte, Tarntechnologie. Seit Admiral Layton das Sagen im Hauptquartier hatte, war der Ton in der Sternenflotte um einiges harscher und militanter geworden, häuften sich die Tage, an denen der Kadett seine Ausbilder daran erinnern musste, dass sein Name Raymond Kitamura war und nicht „Wischlappen“, „Fauler Hund“ oder „Rohrmade“ …
Die Tür stand offen. Tiefe Furchen hatten sich in Captain Kitamuras Stirn gegraben, er beugte sich über ein Datenpad und bemerkte seinen Sohn nicht gleich. Raymond blickte gedankenverloren aus dem großen, blank geputzten Panoramafenster, das den Blick auf den Haupteingang
der „Zefram Chochrane High School“ freigab.
„Du guckst wohl nach den Mädchen“, scherzte sein Vater müde.
Raymond lächelte. „Vielleicht.“
„Was ist mit der Schwarzhaarigen aus deiner Klasse, die Kleine, die ein paar mal bei uns zu Hause war?“
„Diana DeMarco?“
„Sie ist hübsch.“
„Sie ist ne Zicke.“
„Aber wenigstens keine Zivilistin.“
Beide lachten kurz.
Dann fiel Raymonds Blick auf das Datenpad in Yasushis Hand und er wurde neugierig. „Hey, sind das die Konstruktionpläne der DEFENDER?“
Captain Kitamura schwieg, sein hageres Gesicht verriet keine Gefühlsregung, seine dunklen, mandelförmigen Augen wirkten stumpf, als den Inhalt seines Aktenkoffers checkte.
„Kann ich sie mal sehen?“ Raumschiffkonstruktion hatte Raymond schon als kleinen Jungen fasziniert und seine Stimme überschlug sich fast.
„Nein!“ Die Antwort des Captains kam unerwartet laut und schroff.
„Ach komm schon, Dad, es ist doch nur ein Schiff!“
„Es ist nicht nur ein Schiff. Es ist die Zukunft der Sternenflotte.“
„Ich bin auch die Zukunft der Sternenflotte.“ Raymond grinste frech, doch er spürte das Eis wieder zuwachsen, das gestern Abend erst gebrochen war. Nicht zum ersten Mal rumorte ein flaues Gefühl in seinem Bauch, das nichts mit seiner Alkoholvergiftung zu tun hatte.
„Ich mach mich dann mal auf die Socken, Dad“, verabschiedete er sich hilflos.
Captain Kitamura nickte abwesend. „Viel Erfolg, mein Sohn.“
„Dir auch, Dad. Viel Glück bei der Konferenz.“
Täuschte Raymond sich oder wurden die Furchen auf Captain Kitamuras Stirn bei dem Wort „Konferenz“ noch tiefer?
Der Koffer schnappte zu, Yasushi trat hinter dem Schreibtisch hervor und drückte seinen Sohn wortlos an sich – so heftig, als wollte er ihn nie wieder loslassen.
Raymond war überwältig … überwältigt und irritiert. Solche Gefühlsausbrüche passten überhaupt nicht zu seinem Vater – genauso wenig, wie das wilde Trinkgelage gestern Abend.
Als ihm die Wahrheit aufging, zog sich sein Magen so heftig zusammen, dass es wehtat. Verdammt, er hätte es wissen müssen – aber er wollte es nicht wissen. Er wollte es immer noch nicht wissen. „Zum Teufel, was ist los mit dir?“ Seine Zunge fühlte sich rau und pelzig an. „Du hast eine Mission, richtig? Eine sehr gefährliche Mission …“
Captain Kitamuras Augen schimmerten verdächtig. „Ja.“
„Mit der U.S.S. DEFENDER. Nach der Konferenz.“
Diesmal erwiderte Yasushi nichts.
„Oh Gott, verdammt, ich …“ Raymond wollte noch so viel sagen, aber ein dicker Kloß verstopfte seine Kehle und seine Worte verrieselten im Nirgendwo. „Versprich mir, dass du zurückkommst, ja?“
„Das kann ich nicht versprechen“, erwiderte sein Vater traurig. „Dunkle Zeiten kommen auf uns zu und ich wünschte manchmal, die Ereignisse würden an uns vorbeirauschen, ohne uns zu verändern. Aber so ist es leider nicht. Was uns bleibt, ist Pflichtbewusstsein, Loyalität und Ehre. Und manchmal werden wir Dinge tun müssen, die uns nicht gefallen.“
„Nun ja, wenn wir uns verteidigen müssen …“
„Ich bin stolz auf dich, mein Sohn!“
Danke“, murmelte Raymond.
„Heute wird sich alles entscheiden.“
„Heute? Warum denn heute? Ich kapiere gar nichts mehr“, regte sich der Junge auf.
„Ich darf es dir leider nicht sagen.“ Captain Kitamura wandte sich ab.
„Na toll, ich werde dich vielleicht verlieren und weiß noch nicht mal …“
Yasushi umarmte seinen Sohn erneut. „Es wird alles gut, mein Junge. Und nun geh! Du kommst sonst zu spät zu deiner Vorlesung.“
Dann trennten sich ihre Wege und Raymonds Knie fühlten sich wie Pudding an.
Auf dem Campus der Akademie stieß er beinahe mit Diana de Marco zusammen, die – wie er amüsiert feststellte – auch nicht viel munterer aussah, als er. Ihre sonst so lebendigen schwarzen Augen waren zu rot unterlaufenen Schweinsritzen zusammengeschrumpft.
„Na, auch ne wilde Party mit deinem Alten Herrn gehabt?“ zog er sie auf.
„Was? Wie?“ Sie zog die Nase kraus. „Nein, hab die Nacht durchgepaukt.“
Er grinste. „Subraumharmonik?“
„Was sonst.“ Auf einmal verfinsterte sich ihre Miene noch mehr. „Ray, das Objekt deiner Anbetung nähert sich mit Viertel Impuls.“
Von einer Sekunde auf die andere war Raymond hellwach und vergaß beinahe die Sorge um seinen Vater. Kilari Kayn trat aus dem Schatten einer Palme ins Gegenlicht – und Raymond fuhr sich unwillkürlich mit den Fingern durch seine verunglückte Frisur. Er fand, dass Kilari, wie immer, umwerfend aussah. Sie hatte ihr langes, goldblondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Augen – blau wie der Himmel an einem strahlenden Oktobertag – blickten kein bisschen trübe oder glasig, obwohl sie einmal behauptet hatte, ein hoffnungsloser Fall von einem Morgenmuffel zu sein. Die Uniform, die an den meisten Kadetten wie ein unförmiger grauer Pyjama aussah, saß an ihr perfekt und betonte ihre nicht gerade schwach ausgeprägten weiblichen Rundungen. Ein Muster von leopardenartigen Flecken, das in einem durchgehenden Streifen über ihre Schläfen, ihre Wangen und ihren Hals lief, gab ihrem Gesicht eine besonders attraktive Note. „Wie weit gehen eigentlich die Flecken runter?“ war eine der häufigsten Fragen, die ihr die Jungs von der Akademie stellten. Es war jedoch das Maximum an Anzüglichkeit, das man ihr entgegenbrachte, denn Kilari galt auf dem Campus beinahe als Respektsperson.
Raymond musste gezwungenermaßen zu ihr aufschauen, weil sie einen halben Kopf größer war als er. „Hi Ki… Kilari!“ stammelte er.
„Hallo Ray, hallo Diana!“ erwiderte sie lächelnd. „Quantenmechanik am frühen Morgen kann … stimulierend sein, nicht wahr?“
Den anderen entging die Zweideutigkeit ihrer Worte nicht.
„Stimmt es, dass wir nächste Woche einen Test schreiben?“ fragte Raymond.
„Möglich“, erwiderte Kilari leichthin. Die Trill lernte so gut wie nie für ihre Prüfungen. Dennoch war sie Jahrgangsbeste auf der Akademie. Sie erklärte es damit, dass sie immerhin „zwei Gehirne“ besaß und die Erinnerungen aller vorherigen Wirte in sich trug. Doch da war sie schlicht und ergreifend zu bescheiden. Kilari Kayn galt als brillant. Obwohl ein Trill normalerweise mindestens fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt sein musste, um mit einem Symbionten vereinigt zu werden, war ihr diese Ehre schon im Alter von dreiundzwanzig Jahren zugekommen. Nach einem Studium der Xenogenetik und Molekularbiologie, das sie natürlich mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, war sie an der Akademie der Sternenflotte aufgenommen worden. Genau wie Diana und Raymond befand sie sich im zweiten Semester, doch sie hatte bereits den Stoff von anderthalb Jahren geschafft.
„Wie wär´s, Flecki, willst du mir nicht mal deinen Symbionten ausleihen?“ scherzte Raymond.
„Das würde ich nicht empfehlen“, entgegnete Kilari. „Du würdest erst höllische Kopfschmerzen kriegen, dann Bauchkrämpfe, die Abstände, in denen du dich übergeben musst, werden immer kürzer, bis du irgendwann Blut spuckst…“ Die Trill lächelte amüsiert, als Diana angeekelt das Gesicht verzog. „Na, soll ich weitermachen?“
„Ich riskiere alles, um nicht wieder durchzurasseln!“ konterte Ray. „Das letzte Mal war es nämlich gar nicht lustig. Ich dachte schon, ich stehe vorm Cardassianischen Hohen Tribunal – so hat mein Vater mich ‘runtergeputzt!“ Er äffte Captain Yasushi Kitamuras volltönende Barritonstimme nach: „Ich bin dein Herr, dein Gul…“
Die Mädchen kicherten, aber Raymond wurde augenblicklich von seinen Ängsten eingeholt, als er seinen Vater erwähnte. „Alles in Ordnung?“ fragte Kilari besorgt. Als sie ihm zart über die Schulter strich, zuckte er zusammen.
„Es geht um meinen Dad. Er war heute echt … merkwürdig.“ Und nach Kilaris stummer Aufforderung fuhr er fort. „Du weißt ja, dass wir heute mit den Romulanern verhandeln, ob die Sternenflotte Tarnvorrichtungen im Alphaquadranten verwenden darf … Mein Vater meint jedenfalls, dass die Romulaner uns übern Tisch ziehen werden, so wie uns die Cardassianer bei der Sache mit der Entmilitarisierten Zone übern Tisch gezogen haben … dass wir die Spielregeln endlich selbst bestimmen müssen, damit wir wieder verteidigungsbereit sind – aber das ginge nur mit einer neuen Regierung. Die alte wäre feige und korrupt, die Politiker hätten nur noch die nächste Wahl im Kopf und nicht das Wohl der Föderation … dass wir wieder bereit sein müssen, Opfer zu bringen und Risiken einzugehen … Ehrlich gesagt, wird Dad immer komischer je näher die Konferenz rückt. Und gestern Abend wollte er unbedingt mit mir feiern, hat ein Glas Sake nach dem anderen gekippt …“
„Sake?“
„Japanischer Reiswein.“ Raymond schluckte ein paar mal heftig, gab sich große Mühe, nicht zu weinen. „Er … er muss auf eine lebensgefährliche Mission.“
Diana tat betont gelangweilt und wippte mit dem Fuß auf und ab, doch mit einem Mal wurde ihre Miene ernst und sie schenkte Raymond einen mitfühlenden Blick.
„Es hat mit der U.S.S. DEFENDER zu tun“, schloss er stockend.
„Dieses neue Kriegsschiff, das er kommandieren soll?“ hakte Diana nach. „Wenn es wirklich so gut bewaffnet ist, wie alle sagen, kommt dein Vater bestimmt zurück – egal, was passiert!“
„Danke, Diana!“ Manchmal kann sie richtig lieb sein, dachte er gerührt.
Kilari blickte bedeutungsschwer von einem zum anderen. „Irgendwas an der Geschichte macht mich misstrauisch …“
„Ray hat schon genug Probleme – ohne dass du dich hier mit deinen Verschwörungstheorien aufplusterst!“ fauchte Diana die Trill an.
Sie hatte erwartet, Raymond würde sich für ihren Einwurf dankbar zeigen – doch er hing immer noch wie gebannt an Kilaris Lippen. Du liebe Güte, es fehlt nicht mehr viel, bis er kleine Niagara-Fälle sabbert, dachte sie angewidert. Es war die blanke Eifersucht, denn unterschwellig wusste sie, dass Raymond ihre Zuneigung nicht erwiderte.
„Was meint ihr: Ob die DEFENDER hat eine Tarnvorrichtung hat? Oder Massenvernichtungswaffen, von denen nur der Geheimdienst weiß? Dieser Layton plant was, da bin ich ganz sicher … irgendwas wovon der Rest der Sternenflotte nichts erfahren darf …“
„Meine Güte, Ray, du hast eindeutig zu viel Reiswein gesoffen!“ Diana stöhnte.
Ja, manchmal konnte sie richtig lieb sein – aber leider nur manchmal.
Kilaris Mundwinkel hoben sich kurz, aber ihre Augen blieben ernst. „Wie kommt es, dass du uns solche brisanten Sachen erzählst? Immerhin könnten wir alle Wechselbälger sein!“
Raymond schmunzelte halbherzig. „Bist du denn ein Wechselbalg?“
Anstelle einer Antwort zog Kilari ein nachgemachtes Schweizer Armeemesser aus ihrer Uniformtasche, ließ eine der Klingen aufschnappen und fuhr damit über die Innenfläche ihrer linken Hand. „Bäh, du bist ja krank!“ Diana bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.
Aus Kilaris Wunde quoll hellrotes Blut. Es tropfte auf den Boden, sickerte darin ein und blieb, was es war – nämlich Blut.
„Na, ganz offensichtlich bist du kein Wechselbalg!“ bemerkte Raymond trocken.
„Du hast Glück gehabt“, entgegnete Kilari. „Aber es hätte auch schief gehen können.“
Raymond verehrte sie, zweifellos, doch er konnte nicht behaupten, dass er sie verstand. Dafür tat sie zu oft Dinge, die niemand erwartete. Sie amüsierte sich manches Mal über Probleme, die ihre Mitstudenten tagelang quälen und beschäftigen konnten. Dann wiederum zeigte sie einen ungewöhnlichen Ernst an Stellen, wo sich die anderen keinerlei Gedanken machten.
„Alle vereinigten Trills sind multiple Persönlichkeiten. Das liegt in ihrer Natur“, sagte er zu Diana. Kilari war inzwischen gegangen.
„Wofür hält die sich eigentlich? Für die Weisheitsgöttin von Betazed?“ regte sich Diana auf. Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie die Trill nicht besonders mochte und sogar einmal zugegeben, dass sie sie unheimlich fand. Nun, in letzterem Punkt musste Raymond ihr Recht geben.
„Diese eingebildeten Red-Squad-Typen gehen mir voll auf den Geist!“ schimpfte sie weiter.
„Kilari ist nicht eingebildet“, widersprach Raymond. „Und wir wissen auch nicht, ob sie beim ‘Red Squad’ ist.“
„Ach nein?“ spottete Diana. „Ein vereinigter Trill mit dem IQ von Zefram Cochrane und Noten, die man als Normalsterblicher nur kriegen kann, indem man sie fälscht?“
Raymond schwieg, als ihm klar wurde, dass Diana höchstwahrscheinlich Recht hatte. Er war gut und im zweiten Jahr hatte er seine Leistungen sogar noch verbessern können. Doch um ins Red Squadron, diesen geheimen Club von Elitekadetten, aufgenommen zu werden, genügte es noch lange nicht. Allerdings war sich Raymond nicht sicher, ob er das überhaupt wollte.

TO BE CONTINUED ….

© 2005/2006 by Adriana Wipperling

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